Die EU braucht beim Brexit weiter Geduld und Langmut.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Take Back Control!", so lautete der Schlachtruf der Brexiteers. Dieser Slogan brachte Boris Johnson, einen der wichtigsten Brexit-Proponenten, bis in die Downing Street 10, wenn auch erst drei Jahre, drei Monate und einen Tag nach dem Referendum.
Großbritannien solle endlich seine Souveränität zurückerhalten und von den Fesseln Brüssels befreit werden, versprach Johnson. Gleichzeitig sollte die Union nach den Vorstellungen Johnsons den Briten weiter ungehinderten Zugang zum Binnenmarkt bieten.
Dass das nicht funktionieren kann, war von Anfang an klar: Die Integrität des Binnenmarktes steht nicht zur Disposition - auch nicht, wenn das einen harten Brexit bedeutet. In einem Tweet von EU-Chefverhandler Michel Barnier liest sich das so: "Wir werden unsere Zukunft nicht für die Gegenwart opfern."
Nach dem Drehbuch von Boris Johnson geht es im Falle eines Scheiterns der Brexit-Verhandlungen darum, Brüssel den schwarzen Peter zuzuschieben. Doch das wird nicht ganz einfach: Die Regierung von Boris Johnson hat Geduld und Frustrationstoleranz der EU-Spitzen wieder und wieder auf eine harte Probe gestellt. Auf ein paar Wochen und ein paar Londoner Volten mehr oder weniger kommt es längst nicht mehr an.
Außerdem: Der Brexit war nie die Idee der Europäer, sondern der Traum einer Gruppe von nationalkonservativen britischen Nostalgikern bar jedes Realitätssinns.
Doch was kommt, wenn dieser Traum der Brexiteers nun in Erfüllung geht? Wird das um den Preis der Übersiedlung von Fabriken von Nissan oder Toyota in die Slowakei geschehen? Wird nach dem Brexit die City of London wirklich weiter das Herz der europäischen Finanzdienstleistungsindustrie bleiben?
Einstweilen muss die Tatsache, dass Großbritannien vor den EU-Ländern zu impfen begonnen hat, als Argument für den Brexit herhalten. Der Schönheitsfehler: Das alles hat mit dem Brexit nichts zu tun, auch Österreich könnte wie jedes andere EU-Land bereits damit beginnen.
Die Pro-Europäer in Großbritannien brauchen aber nicht zu verzweifeln: Ein solides Mandat für einen harten Brexit hat Johnson keineswegs. Schon das Referendum im Juni 2016 war knapp: Damals waren 52 Prozent für den Brexit, 48 dagegen. Bei den Unterhauswahlen im Dezember 2019 holten Johnsons Konservative zwar eine deutliche Mehrheit, aber die jüngsten NatCen-Umfragen zeigen, dass die Pro-Europäer heute mit 47 Prozent eine deutliche Mehrheit gegen die 38 Prozent Brexit-Befürworter bilden. Die Unentschlossenen tendieren immer deutlicher zum Remain-Lager. Der demografische Wandel sorgt dafür, dass die meist älteren Brexit-Befürworter weniger werden und mehr und mehr Pro-Europäer an ihre Stelle treten.