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Brexit könnte Top-Forschung Geld kosten

Von Eva Stanzl

Wissen

Zehn Jahre ERC-Grants für Spitzen-Wissenschafter: Wie geht es mit dem renommierten Förderprogramm weiter?


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Wien. Die Entdeckung von Exoplaneten auf der Suche nach Leben im All. Das Wundermaterial Graphen. Im Labor heranwachsende Gehirn-Modelle zur Erforschung unseres Denkorgans. Die Genschere Crispr-Cas9, mit der DNA-Abschnitte für schwere Erbkrankheiten entfernt werden können: Erkenntnisse wie diese wurden mit Hilfe der Mittel des Europäischen Forschungsrats gewonnen. Ohne die hoch dotierten Preise für exzellente Grundlagenforschung wäre die Menschheit vielleicht weniger weit.

7000 Preisträger, zwei Drittel davon Nachwuchsforscher und 50.000 in den Teams tätige Wissenschafter: Der Europäische Forschungsrat gilt als "Goldstandard" für Forschungsexzellenz. Rund zwölf Milliarden Euro wurden seit seiner Gründung im Jahr 2007 in wegbereitende Grundlagenforschung investiert. Mit prominenten Rednern aus Wissenschaft und Politik wird das Zehnjahres-Jubiläum heute, Mittwoch, im Europahaus in Wien gewürdigt.

Von Forschern für Forscher

Bis 2006 hatte die EU nur grenzüberschreitende wirtschaftsnahe Forschung gefördert, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu steigern. Erst mit dem 7. Forschungsrahmenprogramm (2007-2013) begann die Union, über das damals neu geschaffene European Reserach Council (ERC) auch Grundlagenwissenschaft zu finanzieren, und stellte dafür 7,5 Milliarden Euro bereit. Im derzeitigen Nachfolgeprogramm "Horizon 2020" stehen dem Europäischen Forschungsrat 13 Milliarden Euro zur Verfügung. Die Förderpreise gibt es für verschiedene Phasen wissenschaftlicher Karrieren: "Starting Grants" (1,5 Millionen Euro) und "Consolidator Grants" (2 Millionen) gelten jungen, "Advanced Grants" (2,5 Millionen) etablierten Forschern.

"Es ist ein Finanzierungsprogramm von Wissenschaftern für Wissenschafter ohne übergeordnete Ziele: Die Grants sind unmittelbar für Forschung gedacht und die Anträge werden von Forschern begutachtet", erklärt ERC-Mitglied Giulio Superti-Furga, Direktor des Zentrums für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Um einen Nährboden für nicht planbare Spitzenforschung zu schaffen, entschieden sich die Erfinder des Programms gegen thematische Vorgaben und für eine Beurteilung der Anträge anhand der Qualität der Forschungsfrage und des Forschungsdesigns.

Wo sind die Köpfe und was wollen sie tun? Der neue Zugang sollte Europa auf der Landkarte der globalen Spitzenforschung verankern. "Die ERC-Grants haben die Grundlagenforschung in Europa auf die internationale Bühne katapultiert, wo wir ausgezeichnet da stehen. ERC-Projekte gehören zu den meist zitierten Arbeiten in den höchst angesehenen Journalen", betont die Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny: "Wie bilden eine neue Forscher-Generation heran, die noch sehr viel beitragen wird."

Erfolgsbilanz

Eine vom jetzigen Präsidium unter dem französischen Mathematiker Jean-Pierre Bourguignon durchgeführte Bilanz der ersten 200 Projekte ergibt, dass in 42 Fällen wissenschaftliche Durchbrüche gelungen seien und in 100 große Fortschritte erzielt wurden. "Insgesamt waren also 71 Prozent der Projekte sehr erfolgreich, was im internationalen Vergleich eine sehr gute Quote ist", sagte Bourguignon in einem Interview.

In Österreich tätige Wissenschafter haben bisher 190 ERC-Förderpreise und damit 250 Millionen Euro eingeworben. 80 Prozent der Preisträger hatten zuvor Projekte des nationalen Wissenschaftsfonds FWF zugesprochen bekommen - der seine Förderungen ebenfalls nach einem beinharten Auswahlverfahren vergibt.

Um eine ERC-Förderung zu bekommen, muss ein Wissenschafter eine aufnehmende Gast-Institution angeben, die auch Räume und Forschungsinfrastruktur bereitstellt. Immer wieder taucht die Kritik auf, die Unis könnten versucht sein, derart erfolgreiche Spieler vorzuziehen. "Die ERC-Grants sind ein unabhängiges Maß für Qualität und natürlich kommen dank der Förderpreise junge Forscher erstmals in die Situation, eine Forschungsgruppe zu entwickeln. Sie deswegen zu holen, könnte auch eine Strategie sein. Aber man sollte eher mutig sein und Leute mit Potenzial holen, um sie in die Lage zu versetzen, einen ERC-Preis zu gewinnen", kommentiert Superti-Furga die Kritik.

Am erfolgreichsten war bisher in allen Förderschienen Großbritannien, wo 1488 oder fast 22 Prozent aller Fördergelder des ERC hingegangen sind. Es folgen Deutschland mit 1031 Grants, Frankreich mit 888, die Niederlande mit 593 und die Schweiz 468 mit Preisen. Im Institutionen-Ranking führen die Universitäten Oxford und Cambridge - und genau hier könnte auch ein Problem für die Zukunft liegen. "Es wird wahrscheinlich insgesamt weniger Geld geben durch den Brexit, weil die Mitgliedsstaaten wohl weniger zahlen wollen, wenn Großbritannien nichts mehr kostet", warnt Wissenschaftsforscherin Nowotny.

Mischung macht innovativ

Im nächsten Forschungsrahmenprogramm ab 2020 könnten also die Mittel für die britischen Unis in andere Töpfe verlagert werden. Etwa sollen Gelder in "defence related research" wandern - also Informationssicherheit, Cyber Security, Telekommunikation, Antriebssysteme und andere Innovationen, die nicht nur im zivilen sondern auch im Verteidigungsbereich nützlich sind. "Diese Bereiche zählen zu den politischen Prioritäten und die Aufgabe ist nun, den ERC entsprechend zu positionieren", so Nowotny.

Der Präsident des Wissenschaftsfonds, Klement Tockner, plädiert für eine Exzellenzförderung mit Raum für Diversität. "Der ERC hat den Goldstandard in der wissenschaftlichen Bewertung geschaffen, doch es muss auch Durchmischung geben. Mit Hinblick auf Innovation sind besonders jene Teams erfolgreich, in denen unterschiedliche Ansätze Platz haben", sagt er. In anderen Worten: Wer keinen ERC-Grant schafft, darf deswegen kein Forscher zweiter Klasse sein.