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"Brexit-Kurs zerstört die Einheit des Landes"

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Die schonungslose Kritik sowie der darauffolgende Rücktritt des britischen Justiz-Staatssekretär Philip Lee verschärft die Brexit-Machtprobe im britischen Parlament und bringt Theresa May erneut in Bedrängnis.


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London. Just zum Zeitpunkt einer weiteren parlamentarischen Brexit-Kraftprobe in Westminster hat der spektakuläre Rücktritt eines ihr nahestehenden Regierungsmitglieds die britische Premierministerin Theresa May neu in Bedrängnis gebracht.

Der bisherige Justiz-Staatssekretär Phillip Lee, den May bis dahin als "Freund" betrachtet hatte, bezeichnete den Brexit-Kurs der Regierungschefin am Dienstag als "Bruch mit elementaren Menschenrechts-Prinzipien" und als Angriff auf "parlamentarische Souveränität".

Lee schockierte die Regierung außerdem mit der Forderung nach einem zweiten Brexit-Referendum - einer neuen Volksabstimmung zum Ergebnis der britischen Verhandlungen mit der EU, aufs Jahresende hin.

London, sagte der Tory-Politiker, müsse nun ohnehin ernsthaft an einen Aufschub des für den 29. März nächsten Jahres geplanten britischen EU-Austritts denken: "Wir sollten uns eingestehen, dass das Vereinigte Königreich und die EU schlicht nicht so weit sind, einen Brexit zu vollziehen."

Ungewöhnlich offen erklärte der überraschend zurückgetretene Lee, der Brexit habe sich als "sehr viel komplexer" erwiesen, "als man es den Leuten 2016 (beim ursprünglichen Austritts-Referendum) dargestellt hatte". Der Brexit, wie er jetzt verfolgt werde, zerstöre die Einheit des Landes und gefährde das nationale Interesse. Er selbst könne, wenn er den Regierungskurs weiter vertrete, seinen "Kindern nicht mehr in die Augen schauen".

Vor allem die absolute Souveränität des britischen Parlaments will Lee, in Auflehnung gegen die Regierungslinie, erhalten sehen. Um genau diesen Punkt ging es am Dienstag im britischen Parlament.

Erwünschte Gefolgschaft ohne Wenn und Aber

May will nach Abschluss der Brexit-Verhandlungen nämlich nur zulassen, dass die Volksvertretung entweder "ihrem" Verhandlungsergebnis zustimmt oder den Ausstieg Großbritanniens aus der EU ohne alle Vereinbarung akzeptiert. Dagegen verteidigen die Oppositionsparteien und eine Reihe von Tory-Rebellen - darunter nun auch Phillip Lee - das Recht des Parlaments auf Festlegung allen weiteren Vorgehens in der Brexit-Frage, über die Verhandlungen hinaus.

Das wird von May und vor allem von den Brexit-Hardlinern ihrer Partei entschieden abgelehnt: Sie fürchten, dass die Pro-Europäer im Unterhaus den Austritt verzögern oder sogar noch ganz verhindern wollen.

Brexit-Minister David Davis erklärte dazu am Dienstag: "Ende März 2019 scheiden wir aus der EU aus. Punktum. Das war die Entscheidung des britischen Volkes."

Regierungschefin May appellierte an ihre Parteikollegen, sich ihrem Kurs nicht zu widersetzen: Falls ihre Regierung nicht völlig freie Hand habe in dieser Frage, untergrabe Westminster ihre Verhandlungsposition gegenüber der EU.

Noch vor wenigen Wochen hatte das Oberhaus, die zweite Kammer, durch 15 eigenwillige Beschlüsse das im Unterhaus bereits abgesegnete Austritts-Gesetz Mays abzuändern gesucht. Unter anderem hatten die Lords und Ladies auf uneingeschränkter parlamentarischer Souveränität bestanden und die Frage weiterer britischer Zugehörigkeit zur europäischen Zollunion offen zu halten gesucht.

Infolgedessen forderte May ihre Fraktion auf, diese Beschlüsse im Unterhaus wieder aus dem Gesetz herauszunehmen, also das Oberhaus zu überstimmen. Dienstag und Mittwoch dieser Woche wurden für diese neue parlamentarische Kraftprobe bereit gestellt.

Bei der zentralen Frage, der nach der Hoheit des Parlaments, hatte das Unterhaus sich im vorigen Dezember der Regierungslinie schon einmal ganz knapp, mit 309 zu 305 Stimmen, widersetzt. Diesmal ging es darum, diese Klausel fest ins Austritts-Gesetz aufzunehmen.

Ex-Schatzkanzler Kenneth Clarke, einer der prominentesten konservativen Pro-Europäer, warnte seine Parteikollegen nachdrücklich davor, das Parlament "an den Rand zu drängen".

Tory-Rebellen wie Clarke fanden sich am Dienstag erneut unter scharfem Beschuss der rechtskonservativen Presse. Rupert Murdochs Massenblatt "The Sun" eröffnete den Abgeordneten an diesem Morgen: "Ihr habt eine Wahl hier - Großbritannien oder den großen Verrat." Der "Daily Express" kam mit "eine simplen Warnung" auf der Frontseite: "Ihr ignoriert den Willen des Volkes auf eigenes Risiko!"