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Brexit: "The same procedure as every year"

Von Harald Oberhofer

Gastkommentare
Harald Oberhofer ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien und forscht am Wifo.
© Roman Reiter / WU

Unsicherheit führt zum Aufschieben von Investitionen. Damit geht Wertschöpfung verloren.


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It’s this time of the year again! Das Jahr neigt sich dem Ende zu und wieder einmal stehen die Brexit-Verhandlungen "Spitz auf Knopf". In vier Wochen endet die Übergangsfrist nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. Frei nach dem britischen Motto "the same procedure as every year" herrscht traditionsgemäß Unklarheit über die zukünftigen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Eine Einigung könnte jedoch unmittelbar bevorstehen.

Der EU-Chefverhandler Michel Barnier und sein britisches Gegenüber, David Frost, ringen unter großem Zeitdruck um eine Einigung. Das Ziel: ein Last-Minute-Deal. Dem Vernehmen nach spießt es sich noch beim Zugang der EU-Fischfangflotten zu britischen Gewässern und den britischen Garantien für einen fairen Wettbewerb zwischen britischen und europäischen Unternehmen. Wie in einem Streit um zum Beispiel unfaire Subventionen eine Schlichtung vonstattengehen könnte, ist auch noch offen. Eine rasche Einigung wäre aus mehreren Gründen wichtig, für eine Nicht-Einigung ist es eigentlich schon zu spät.

Einigen sich die EU und das Vereinigte Königreich nicht, gelten für den Handel mit Waren und Dienstleistungen zwischen dem europäischen Festland und der britischen Insel nämlich mit Jahresbeginn die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Als Konsequenz würden Zölle und Grenzkontrollen eingeführt. Dienstleister könnten auf der anderen Seite des Ärmelkanals ihrer Marktzulassung verlustig gehen. Airlines würden ohne Notfallregelungen ihre Start- und Landerlaubnisse verlieren, auch in Corona-Zeiten mit eingeschränktem Flugverkehr, aber sicherlich nach dem Ende der Pandemie ein nicht zu unterschätzendes Problem.

Die Folgen eines Scheiterns sind den Verhandlungspartnern bekannt. Die ökonomischen Kosten wären groß. Dennoch scheint vor allem das Vereinigte Königreich den Zeitrahmen ausreizen zu wollen. Davon erhofft man sich offensichtlich letzte Zugeständnisse durch die EU. Diese Strategie übersieht jedoch die ökonomischen Kosten, die durch Planungsunsicherheit entstehen. Bereits vor seinem Vollzug Ende 2020 hat der Brexit hohe ökonomische Kosten vor allem im Vereinigten Königreich verursacht und das Wachstum gedämpft, wie wissenschaftliche Untersuchungen zeigen. Schon zwischen 2016 und 2018 dürfte der Brexit die britische Wertschöpfung um insgesamt 55 Milliarden Pfund reduziert haben.

Diese Kosten folgen aus einer bereits vorweggenommenen, geringeren Integration in den europäischen Markt sowie aus der brexitbedingten Rechts- und Planungsunsicherheit für die wirtschaftlichen Akteure. Zumindest die Unsicherheit und deren Folgekosten hätten ein frühzeitiges Nachfolgeabkommen und eine mittelfristig nachvollziehbare Politik deutlich gesenkt. Denn Unsicherheit führt zum Streichen von Projekten und dem Aufschieben von Investitionen. Die damit verbundene Wertschöpfung geht verloren. Von all dem war auf beiden Seiten wenig zu sehen und am Ende wird leider wohl wieder einmal das bessere Sitzfleisch entscheiden.