Ein Hard Brexit wäre für die mit der Personenfreizügigkeit verbundene Möglichkeit zur Immigration ins Vereinigte Königreich gravierend.
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Seit Jahresmitte steht fest: Die Brexit-Übergangsfrist wird nicht verlängert. Nach dem offiziellen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU im Jänner ist fix, dass es die Union effektiv mit Ablauf dieses Jahres verlassen wird. Mit oder ohne Regelung der zukünftigen Beziehungen.
Viel Zeit zur Einigung über das künftige EU-UK Verhältnis bleibt nicht. Auf beiden Seiten des Verhandlungstisches war man zu großen Zugeständnissen bis dato nicht bereit. Sollte keine Einigung über die künftigen Beziehungen gelingen, käme es letztlich doch zum "Hard Brexit". Sämtliche Regelungen zum EU-Binnenmarkt würden ersatzlos nicht mehr gelten.
Insbesondere für die mit der Personenfreizügigkeit verbundenen Möglichkeit zur Immigration ins Vereinigte Königreich wäre dies gravierend:
Die Personenverkehrsfreiheit fiele ersatzlos weg. Dies würde zur grundsätzlichen Visumspflicht bei der Einreise führen.
Der Aufenthalt bzw. die Möglichkeit zur beruflichen Betätigung wäre an die Gewährung eines Aufenthaltstitels geknüpft.
Bereits im Vereinigten Königreich sesshafte EU-Bürger und-Bürgerinnen müssen sich registrieren. Für neue Aufenthaltswerber wird ein Punktesystem eingeführt.
Die Möglichkeit zur Niederlassung von EU-Bürgern im UK richtet sich danach, ob ein bis zum 31. Dezember 2020 bestehender Aufenthalt fortgesetzt oder ein Aufenthaltstitel danach erstmals beantragt wird.
Registrierung im "EUSS"
Bereits sesshafte EU-Bürger müssen sich nach dem Ende der Übergangsperiode bis Ablauf des 30. Juni 2021 im von der britischen Regierung ins Leben gerufenen "EU Settlement Scheme" registrieren lassen, um weiterhin im Vereinigten Königreich wohnhaft bleiben und beruflich tätig sein zu können.
Der jeweilige Aufenthaltsstatus ist von der Dauer der bereits bestehenden Ansässigkeit abhängig:
Bei - Ausnahmen abgesehen - ununterbrochenem, aufrechtem Aufenthalt von mehr als 5 Jahren steht der "Settled Status" zu. Dieser berechtigt zur unlimitierten Ein- und Ausreise und ebnet den Weg zur britischen Staatsbürgerschaft. Einmal erlangt, geht der Status erst bei einem mehr als 5-jährigen ununterbrochenen Aufenthalt im Ausland verloren.
Bei bestehender Ansässigkeit von unter 5 Jahren kann der "Pre-settled Status" beantragt werden. Dieser erlaubt den ständigen Aufenthalt bis zur Erlangung des "Settled Status". Inhaber eines "Pre-settled Status können bis zu zwei Jahre hintereinander außerhalb des Vereinigten Königreichs verbringen, ohne ihren Status zu verlieren.
Enge Familienangehörige können nach den Bestimmungen des EUSS bis 31. Dezember 2020 nachgeholt werden. Später soll ein Nachzug nur mittels Visa möglich sein.
Neue Einwanderungspolitik
Im Zusammenhang mit Brexit beabsichtigt das UK auch die Neuausrichtung seiner Einwanderungspolitik. Entsprechende gesetzliche Regelungen finden sich im "Immigration Act". Die Neuausrichtung soll ab Jänner 2021 in Kraft treten.
EU-Bürger und EU-Bürgerinnen erhalten keine Vorzugsbehandlung mehr. Vielmehr bringt die Neuausrichtung die Einführung eines Punktesystems mit sich. Der Zuzug von Fachkräften soll ermöglicht und der britische Arbeitsmarkt für diese attraktiver gemacht werden. Gleichzeitig sollen "low-paid workers" vom Zuzug abgehalten werden.
Nach dem Punktesystem sind gehobene Sprachkenntnisse ebenso wichtig wie ein vorhandenes Jobangebot. Auch akademische Titel in den Bereichen Naturwissenschaften, Technik, Ingenieurswesen und Mathematik erhöhen die Punkteanzahl von Einwanderungswerbern bedeutend. Auch das Übersteigen einer gewissen Gehaltsschwelle wird bei der Beurteilung entscheidend. Nach Ende 2020 ins UK immigrierende Jobsuchende sollten sich frühzeitig um die Erlangung punktebringender Kenntnisse und Fähigkeiten bemühen.
UK Binnenmarktgesetz
Die Schlagzeilen im Vereinigten Königreich waren zuletzt von der Corona-Pandemie sowie den US-Präsidentschaftswahlen bestimmt. Kurz vor Ende der Brexit-Übergangsfrist rückt nun auch der Brexit wieder in den Blickpunkt.
Um sich für Austritt des UK aus der EU zu wappnen, soll das britische Parlament nach Wunsch der Regierung um Premier Johnson bald ein neues Binnenmarktgesetz verabschieden. Die "Internal Market Bill" stößt im Parlament jedoch auf breite Ablehnung. In beiden Häusern sehen Kritiker das Karfreitagsabkommen gefährdet. Zudem würde die Bill gegen Völkerrecht verstoßen.
Eines der umstrittensten Themen der Verhandlungen ist die Wahrung des Karfreitagsabkommens. Dieses beendete jahrzehntelange Unruhen in Nordirland und schuf hierfür auch institutionelle Rahmenbedingungen. Essenziell zur Wahrung des Karfreitagsabkommens ist die unbedingte Vermeidung einer harten Grenze zwischen Nordirland als Teil des Vereinigten Königreichs und Irland als EU Mitglied.
Zur Wahrung des Abkommens wurde das Nordirland-Protokoll (der Backstop) zum Bestandteil des EU-UK Deals gemacht. Es besagt, dass alle durch den Brexit erforderlich werdenden Zollkontrollen bzw. anfallenden Zölle zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs stattfinden sollen. Die weiche Grenze zwischen Irland und Nordirland soll jedenfalls beibehalten werden. Nordirland soll dadurch effektiv in die Zollunion einbezogen werden, um die Integrität des Binnenmarktes zu wahren.
Die Internal Market Bill
Mit der Internal Market Bill soll sichergestellt werden, dass der EU Austritt nicht zu Handelshemmnissen innerhalb des Vereinigten Königreichs führt. Gegenstand sind insbesondere Regelungen für den Handel zwischen den einzelnen Landesteilen und die gegenseitige Anerkennung von Maßnahmen der jeweiligen Landesverwaltungen.
Dadurch würde die Bill aber zur Erlassung innerstaatlicher Vorschriften zur Aushebelung des Nordirland-Protokolls ermächtigen. Dies deshalb, weil etwa in Wales geltende Qualitätsanforderungen an Produkte auch in Nordirland gelten müssten, das aufgrund des Backstops in wichtigen Bereichen jedoch wie ein Teil der EU behandelt werden muss.
Weiters sieht der Gesetzentwurf vor, dass sämtliche Vorschriften Vorrang vor möglicherweise im Widerspruch stehenden internationalen Regelungen genießen sollen. Die Internal Market Bill verstößt damit gegen internationales Recht.
Konkret verletzt sie vertragliche Bestimmungen des EU-UK Austrittsabkommens, das als völkerrechtliche Vereinbarung die Bedingungen für den Brexit festlegt. Auch im Völkerrecht gilt der Grundsatz, dass geltende Verträge einzuhalten sind. Verträge zwischen Staaten sind für diese rechtlich bindend und müssen nach Treu und Glauben erfüllt werden. Eine Vertragspartei kann sich zur Rechtfertigung nicht auf nationales Recht berufen.
Aufgrund der im Vereinigten Königreich geltenden parlamentarischen Souveränität kann es zwar gegen Völkerrecht verstoßende Gesetze verabschieden. Die völkerrechtliche Verpflichtung gegenüber der EU bleibt jedoch bestehen. Daher werden auch weitere Versuche, die Internal Market Bill in Geltung zu setzen, auf Ablehnung stoßen.
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