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Brexit-Unruhe in der City of London

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Londons Finanzsektor warnt eindringlich vor einem EU-Austritt. Die Zentralbank arbeitet schon an Notfallsplänen.


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London. Im Zeichen neuer Ungewissheit über den Ausgang des kommenden britischen EU-Referendums verstärkt die Bank von England - die Zentralbank - ihre Vorbereitungen für den "Fall der Fälle". Details ihrer Planung will die Bank zwar nicht veröffentlichen. Bank-Gouverneur Mark Carney hat aber eingeräumt, dass an Notfallsplänen gearbeitet wird.

Vor allem sucht sich die Bank im Falle eines Nein der Briten zu weiterer EU-Mitgliedschaft gegen einen möglichen Währungssturz zu wappnen. Einem Bericht der Londoner "Times" vom Montag zufolge hat Carney die "Kriegskasse" der Bank für einen solchen Notfall in den vergangenen zwölf Monaten um ein Drittel, auf fast 100 Milliarden Dollar, aufgestockt.

Das ist der höchste Stand der Auslandsreserven seit 17 Jahren. Ökonomen der Londoner City deuten diese Maßnahme, laut "Times", als "Versuch einer UK-Rückversicherung für den Fall eines unkontrollierbaren Kollapses des Pfundes und eines etwaigen Marktchaos, das einem Brexit folgen könnte".

Goldman Sachs hat bereits kalkuliert, dass das Pfund im Brexit-Fall glatt ein Fünftel seines heutigen Wertes verlieren könnte. Schon in den vergangenen Wochen hat die Währung spürbar an Wert verloren. Carney selbst beklagt die "Verwundbarkeit" des Sterlings - wegen des hohen britischen Handelsdefizits und der Abhängigkeit des Landes von internationalen Investitionsflüssen. Umgekehrt, warnte die IWF-Chefin Christine Lagarde, trage die Angst vor einem britischen EU-Austritt schon jetzt zur Unruhe auf den globalen Märkten bei.

Einem Brexit - einem britischen Exit aus der EU - gibt eine neue Umfrage des renommierten Londoner Meinungsforschungs-Instituts YouGov erstmals echte Chancen. Dieser Umfrage zufolge wollen nur noch 36 Prozent der Briten für einen Verbleib in der EU stimmen. 45 Prozent sind jetzt hingegen für den Austritt. Die übrigen 19 Prozent haben sich noch nicht entschieden.

Rekord an Austrittswilligen

Ein solcher 9-Prozent-Vorsprung für die Nein-Seite stellt einen Rekord für die Austrittswilligen dar. Die Umfrage ist die erste seit der Veröffentlichung der provisorischen Reform-Vereinbarung von Premier David Cameron mit den EU-Partnern vorige Woche. Nur 22 Prozent der Briten halten das Reformpaket laut YouGov für einen "guten Deal" für Großbritannien. 46 Prozent betrachten ihn als ausgesprochen "schlecht".

Im Finanzbezirk der City of London schrillen erstmals Alarmglocken angesichts einer womöglich kippenden Stimmung im Lande. "Drastische und langfristige Folgen" für die Insel sagen Credit-Suisse-Analysten für den Brexit-Fall voraus. Ein EU-Austritt könne unmittelbar eine neue Rezession auslösen, die britische Wirtschaftskraft um zwei Prozent vermindern und zu einem Sinken von Aktien- und Hauspreisen führen.

Die US-Bank JP Morgan, die in Großbritannien 19.000 Menschen beschäftigt, spielt offenbar mit dem Gedanken an einen Abzug, falls die Briten die Bande zum Kontinent kappen. Barclays Boss John McFarlane prophezeit, die ganze City of London würde "erheblich schlechter" dastehen nach einem Brexit.

Adam Posen, ein früheres Bank-of-England-Ratsmitglied und heute Präsident des Peterson-Instituts in Washington, ist überzeugt, dass "mögliche Vorteile eines Austritts weit in den Schatten gestellt würden von dem Schaden, der schon im Anlauf zum Referendum und dann erst recht im Nachhinein angerichtet würde". Die Austritts-Verhandlungen mit der EU nach einem Nein beim Referendum könnten sich "jahrelang" hinziehen und zu einer sehr langen Periode der Ungewissheit führen.