Die DUP ist das größte Hindernis für einen Kompromiss im Brexit-Streit. Die Unionisten aus Nordirland sehen die Einheit mit Großbritannien gefährdet.
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Eine letzte Verhandlungsrunde vor dem EU-Gipfel, Eiltnachrichten und Dementi, ein Hoffnungsschimmer, dann wieder Skepsis. Am Mittwoch gingen die Gespräche weiter: Die Brexit-Verhandler Londons und der EU kamen in Brüssel zusammen, zusätzlich telefonierte Ratspräsident Donald Tusk mit dem britischen Premier Boris Johnson und dem irischen Regierungschef Leo Varadkar. Zwischenzeitlich sah es aus, als wäre eine Einigung in greifbarer Nähe. Doch dann war die Zeit doch zu knapp, die Angelegenheit zu kompliziert. Immerhin muss ein Kompromiss, damit er Realität wird, erst in einen Rechtstext gegossen werden. Es sieht ganz danach aus, als müsste es noch einen Sondergipfel zum Brexit vor dem Austrittsdatum am 31. Oktober geben.
Noch kein Durchbruch
Denn auch in dieser Nacht auf Donnerstag soll es nicht zum Abschluss eines neuen Brexit-Vertrages kommen. Das verlautete es aus Kreisen der britischen Regierung. Dabei ist der neue Brexit-Vertrag zwischen Großbritannien und der EU so gut wie fertig, heißt es seitens der EU.
Es habe eine Einigung über gleiche Wettbewerbsbedingungen und über Zölle gegeben. Das Parlament im britischen Nordirland müsse alle vier Jahre den Regelungen zustimmen. Allerdings seien noch Fragen zur Mehrwertsteuer offen.
Premierminister Johnson hatte vergangene Woche eine überraschende Wendung vollzogen. Plötzlich meinte auch der britische Premier, dass es keine Grenze auf der irischen Insel geben dürfe. Kurz zuvor hatte er noch gedroht, sein Land zur Not ohne Austrittsabkommen aus der EU zu führen. Den halben Sommer lang haben die Beamten in Brüssel auf Vorschläge aus London gewartet - umsonst. Doch dann legte Johnson plötzlich eine Idee auf den Tisch. Er schlägt vor, dass Nordirland nach dem Brexit zwar de jure in der Zollunion des Königreichs ist, de facto aber in jener der EU bleibt. Klingt kompliziert? Ist es auch.
Blutrote Linien
Waren, die von Großbritannien nach Nordirland kommen, müssten demnach in der Irischen See kontrolliert werden, also zwischen Nordirland und Großbritannien. Eine harte Grenze auf der Insel bräuchte es damit zwar nicht. Doch die EU ist skeptisch, ob und wie das in der Praxis funktionieren kann. Bis Ende 2020 müsste das System laufen. Bis dahin gibt es eine Übergangsphase, in der vorerst alles bleibt, wie es ist - vorausgesetzt, es gibt ein Abkommen.
Nordirland ist zum Knackpunkt im Brexit-Streit geworden. Verlässt die britische Provinz gemeinsam mit Großbritannien Binnenmarkt und Zollunion der EU, dann muss es Grenzkontrollen zwischen Nordirland und der Republik im Süden geben. Die EU pocht auf den Schutz ihres Binnenmarkts: Nordirland darf nicht zur Hintertür für Waren aus Drittländern werden, zudem müssten Zölle erhoben werden. Doch in Nordirland würde eine harte Grenze alte Wunden aufreißen. Dublin fürchtet ein Wiederaufflammen des Konflikts zwischen Katholiken und Protestanten und will eine harte Grenze um jeden Preis vermeiden.
Deshalb hat die EU schon zu Beginn der Verhandlungen vorgeschlagen, Nordirland in Binnenmarkt und Zollunion der EU zu lassen. Die damalige Regierungschefin Theresa May lehnte das ab. Ihre Minderheitsregierung war auf die Unterstützung der nordirischen DUP angewiesen - und die Unionisten lehnen jeglichen Sonderstatus für Nordirland ab, weil sie nicht von Großbritannien abgenabelt werden wollen. DUP-Chefin Arlene Foster bezeichnet die Zollgrenze in der Irischen See, die nun wieder auf dem Tisch liegt, als "blutrote Linie". Für die königstreuen Protestanten ist der Brexit-Plan Johnsons ein Verrat an der Union zwischen Großbritannien und Nordirland.
Die Alternative, ein harter Brexit, schadet Nordirland zwar enorm. Darunter muss der Erfolg der DUP aber nicht unbedingt leiden: Je angespannter die Situation in der britischen Provinz, je größer das Misstrauen zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen, desto höher dürfte der Zuspruch für die Unionisten werden. Stimmt die DUP hingegen einem Deal mit Grenzkontrollen auf der Irischen See zu, dann könnten andere unionistische Kräfte in Nordirland ihr Verrat an der Einheit mit Großbritannien vorwerfen. Damit wäre die DUP als größte unionistische Partei in Nordirland wohl Geschichte.
Teure Kooperation
Was aber, wenn London der DUP im Gegenzug für ihre Kooperation Milliarden für Nordirland verspricht? Laut britischen Medien soll genau das geschehen sein. Ein DUP-Sprecher tat das am Mittwoch als "kategorisch falsch und völligen Unsinn" ab. Doch es wäre nicht das erste Mal, dass London den Unionisten auf diese Weise die Entscheidung erleichtert: Premierministerin May hat der DUP schon 2017 ein Investitionspaket von 1,7 Milliarden Euro für Nordirland in Aussicht gestellt. May brauchte die Unterstützung der nordirischen Unionisten für eine Mehrheit im Unterhaus.
Johnson ist indes nicht mehr auf die Unionisten angewiesen, seine Mehrheit hat er ohnehin verloren. Für ein Austrittsabkommen braucht der Premier allerdings die Unterstützung des britischen Parlaments. Mit den zehn Abgeordneten der DUP kann er wohl nicht rechnen - und viele konservative Brexiteers wollen sich nach dem Urteil der Nordiren richten.
Dafür haben 19 Abgeordnete der oppositionellen Labour-Partei angekündigt, für den Deal stimmen zu wollen. Die Liberaldemokraten wollen das hingegen nur tun, wenn es auch ein neues Referendum gibt. Die Angst davor, den Brexit ganz zu verlieren, könnte letztendlich auch die Tory-Hardliner dazu bewegen, sich auf einen Kompromiss mit Brüssel einzulassen. Immerhin wäre dann auch eine weitere Verschiebung des Brexit vom Tisch. Und die Brexiteers hätten ihr größtes Versprechen erfüllt - und den EU-Austritt endlich durchgezogen.