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Brexitus

Von Harald Oberhofer

Gastkommentare
Harald Oberhofer ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien und forscht am Wifo.
© Roman Reiter / WU

Das Vereinigte Königreich wird 2023 die einzige "fortgeschrittene Volkswirtschaft" der Welt mit einer Rezession sein.


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"Jetzt ist schon wieder was passiert." Hätte Wolf Haas diesen Satz nicht seinen "Brenner"-Romanen vorangestellt, er würde sich hervorragend für das politische Schauspiel im Vereinigten Königreich seit 2015 eignen. Begonnen hat alles mit einem machtpolitischen Kalkül. David Cameron dachte, er könne seine innerparteilichen Rivalen durch eine Abstimmung über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU "kaltstellen". Boris Johnson wechselte daraufhin erst recht in das Lager der Brexit-Befürworter und formte eine inhaltliche Koalition mit anderen Rechts- und Austrittspopulisten. Die Abstimmung ging für den Austritt aus und damit begann der "Spaß" so richtig. Und die Investoren begannen, das Land zu verlassen.

Von den maßgeblichen Brexit-Befürwortern wollte zunächst niemand von David Cameron übernehmen. Teresa May tat es und scheiterte, zuvorderst am innerparteilichen Widerstand und an Boris Johnson. Nach ihrer vollständigen politischen Desavouierung trat sie entnervt zurück. Nun war der Zeitpunkt für Boris Johnson gekommen. Er übernahm als Premierminister und führte das Vereinigte Königreich tatsächlich aus der EU. Die Verhandlungen um ein Nachfolgeabkommen gestalteten sich erwartungsgemäß schwieriger. Der Premier musste in letzter Minute die faktische ökonomische Machtverteilung zwischen den Verhandlungspartnern akzeptieren und einem Abkommen zustimmen, das vor allem in der Nordirlandfrage im Widerspruch zu den Versprechen der Brexit-Befürworter stand.

Aber immerhin, die Migrationspolitik war wieder in ausschließlich britischen Händen und die notwendigen ausländischen Fachkräfte blieben wie gewünscht aus. Gleichzeitig stiegen die Handelsbarrieren mit der EU. 2022 befand sich das Vereinigte Königreich nicht mehr unter den Top-10-Handelspartnern Deutschlands. 2017 lag es noch auf Platz fünf. Global Britain gone wrong.

Dann kam Covid-19, "Party-Gate", weitere Skandale und eine öffentliche Rebellion gegen Boris Johnson. Liz Truss setzte sich im Nachfolgerennen gegen Rishi Sunak durch, nur um in den sozialen Medien eine "Haltbarkeitswette" gegen einen Eisbergsalat zu verlieren. Zuvor hatte ihre geplante Steuerreform zu kurzfristigen Tumulten auf dem britischen Finanzmarkt geführt. Die Gläubiger hatten das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit des Landes verloren.

Aktuell amtiert Rishi Sunak als Premierminister und der Internationale Währungsfonds prophezeit dem Vereinigten Königreich eine schlechte Wirtschaftsentwicklung. 2023 wird das Land die einzige "fortgeschrittene Volkswirtschaft" der Welt mit einer Rezession sein. Neben den hohen Energiepreisen werden vor allem der Fachkräftemangel und die politische Instabilität des Landes als Ursachen der Rezession angeführt. Gleichzeitig gehen die Populismus-Spiele weiter: Liz Truss hat sich nach einer Auszeit mit einem Zeitungskommentar zurückgemeldet, in dem sie sich als Opfer einer "mächtigen Wirtschaftselite" stilisiert. Und Boris Johnson werden Ambitionen auf eine Rückkehr in die Downing Street No. 10 nachgesagt, koste es die Bevölkerung, was es wolle.

So eine Wirtschaft: Die Wirtschaftskolumne der "Wiener Zeitung". Vier Expertinnen und Experten schreiben jeden Freitag über das Abenteuer Wirtschaft.