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Brief einer Ärztin aus Basra

Von Niko Reinberg

Politik

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In einem am 2. April datierten Brief berichtet eine junge spanische Ärztin über die tragischen Ereignisse in Basra, der anfangs belagerten und mittlerweile teilweise eingenommenen Stadt. Aus dem Schreiben geht u.a. hervor, dass die US-Armee medizinisches Personal aus einem Spital entführte. Sie erzählt vom Amoklauf eines amerikanischern Soldaten, der sich selbst richtet, als er merkt, dass er ein Kind erschossen hat.

Die Ärztin A.P. (der Name ist der Redaktion bekannt) kam am 27. März mit einer Delegation des Roten Halbmonds, bestehend aus zwei Chirurgen, zwei Krankenschwestern und einem Übersetzer nach Basra. Vor ihrer Ankunft musste sie noch eine Nacht inmitten der amerikanischen Stellungen vor der Stadt verbringen.

"In der Nacht vor unsere Ankunft aßen wir mit amerikanischen Soldaten zu Abend. Während der Nacht bekamen sie eine Art Psychotherapie, mehrheitlich hatten sie einfach Angst. Es gab Übungsstunden um die Moral zu heben, sie brüllten sich an, wie gut sie doch nicht wären und wie schrecklich ihre Gegner, die Iraker. Hier ist Zweifeln verboten ...."

"Am nächsten Tag kamen wir in die Stadt. Die irakische Armee führte uns zu einem Spital. Ich begann fast zu weinen, als ich das zerstörte Bauwerk sah. Wir brachten schleunigst das Gerät in ein benachbartes Gebäude und hissten die Fahne des Roten Halbmondes. Dann begannen wir zu arbeiten. Zuerst ordneten wir unser Material, dann die Patienten nach den verschiedenen Krankheiten. Auf der einen Seite die Verwundeten, auf der anderen die mit anderen Krankheiten. (...) Dann stellten wir entsetzt fest, dass es weder Wasser noch elektrisches Licht gab. Es gab keine Betten, keine Ärzte, kein medizinisches Material, nichts... Das einzige was es gab war vereinzeltes chirurgisches Material(...)

Die Ärzte und das medizinische Personal der Stadt, schreibt die Ärztin, wurden von der amerikanischen Armee gefangen genommen, um die Bevölkerung zu demoralisieren. Eine große Zahl von PatientInnen wartet jetzt darauf, medizinisch versorgt zu werden. Es gibt jedoch weiterhin keinen Strom und Wasser ist knapp.

Am Morgen des dritten Tages beginnt eine Rebellion:

"Als ich am dritten Tag aufwachte, hörte ich Schreie. Die Bevölkerung rebellierte gegen Saddams Truppen. Die Menschen wollten die Stadt verlassen um an Essen zu kommen, aber die irakische Armee ließ das nicht zu. Einige versuchten zu fliehen, wurden als sie die amerikanischen Linien erreichten von der US -Armee erschossen."

In der darauffolgenden Nacht, berichtet die Ärztin, kommt es zu massiven Bombardierungen. So auch in den weiteren Nächten. Eigentlich dürfte das Personal des Roten Halbmondes das Spital nicht verlassen. Dennoch verlassen die SpanierInnen und ihre Helfer immer wieder das provisorische Krankenhaus. Ziel ist, die immer größer werdende Zahl an Verwundeten aus den Strassen ins Spital zu bringen, "den einzig sicheren Platz der Stadt". Doch selbst vor dem Spital macht der Krieg nicht halt.

Am 30.März sind die Amerikaner bereits in der Stadt. Mit ihnen kommen Wasser und eine erste Lieferung an Medikamenten. Den amerikanischen Truppen gelingt es aber nicht, die Kontrolle über die Stadt zu erlangen. Immer wieder kommt es zu vereinzelten Gefechten mit Guerrillatruppen der irakischen Armee.

In der Nacht des 30.März betritt eine Gruppe irakischer Soldaten das Spital. Sie werden von Amerikanern verfolgt: " Sie begannen aufeinander zuschießen und einige fielen tot oder schwer verwundet zu Boden. Das alles in unserem Spital. Ein US-Soldat betrat einen Krankensaal und schoss ohne zu zögern auf ein Kind. Es war nur ein Kind...Jetzt ist es kein Kind mehr jetzt ist es ein Engel. Und ich, ich sah das alles mit an und konnte nichts tun um es zu verhindern. Meine Wut war unendlich.

Dann wurde der Soldat von dem Arzt aus Madrid zur Rede gestellt, und dieser Wahnsinnige schoss auf den Arzt, verletzte ihn aber nur am Arm. Der Arzt kann jetzt nicht mehr arbeiten. Ich stand auf, auch der Arzt, die Krankenschwestern und freiwilligen Helfer. Wir blickten den Soldaten hasserfüllt an. Er drehte sich einfach um. Als er weggehen wollte stürzte sich der Arzt voller Wut auf den Soldaten, und auch wir versuchten zu helfen... Dann nahm ich das tote Kind in die Arme und zeigte es ihm. Als der Soldat bemerkte was geschehen war, griff erblitzschnell zu seiner Waffe und nahm sich mit zwei Schüssen das Leben .

Nachdem ich meinen Kollegen operiert hatte brachte ich das Kind zu seiner Familie. Die Mutter weinte nicht einmal, es war bereits das dritte Kind, das sie während derletzten15 Tage verloren hatte."

Normalerweise bleibt in den Kriegsgebieten niemand länger als zwei Wochen, da der psychische Druck so groß ist. Der verwundete Arzt und die spanische Chirurgin weigern sich jedoch Basra zu verlassen, denn es gibt kein Personal das sie ersetzen könnte.

Am 1.April gibt es keine Antibiotika mehr. "Die Wunden beginnen sich zu entzünden" berichtet die Ärztin. "Wenn die Guerrilleros nicht aufgeben, werden weiterhin viele Menschen sterben. Einer nach dem anderen. Das Beste wäre sie würden die Amerikaner einfach ganz in die Stadt hineinlassen. Man hat hier einen Punkt erreicht, an dem die Iraker hier nichts mehr erreichen können, außer noch mehr Tote zu erzeugen. Trotzdem hören sie nicht auf zu kämpfen und zu sterben." Unter den Kämpfern finden sich nicht nur Anhänger von Saddam. Der Saubere Krieg der Amerikaner existiert hier nicht. In Basra sind die Gräben zwischen den "US-Befreiern" und der irakischen Bevölkerung im Laufe des Krieges schier unüberwindbar geworden.

"Am heutigen Tag", schreibt die Ärztin am Ende ihres Briefes "am 2. April, gab es zum ersten Mal weder schwerere Kämpfe noch Bomben. "Wir alle hier wünschen uns, dass es so bleibt. Meine Freunde beten; einige zu Jesus andere zu Allah. Ich bete nicht, zu niemand, da ich aufgehört habe an einen so grausamen Gott zu glauben."