Boris Johnson erklärt nun auch in einem Schreiben an die EU, dass er den Backstop streichen will. Darauf kann Brüssel nicht eingehen. Möglich, dass Johnson das durchaus bewusst ist - und er die EU lediglich als Sündenbock nutzen will.
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London/Brüssel. EU-Ratspräsident Donald Tusk hat wieder einmal Post aus London bekommen. "Lieber Donald", beginnt der britische Premier Boris Johnson seinen vierseitigen Brief - und kommt gleich zum Punkt: Der "sogenannte Backstop", jene Notlösung zur Verhinderung von Grenzkontrollen zwischen Irland und der britischen Provinz Nordirland, muss weg.
Alles andere bleibt vage. Immerhin ein Satz kann als Signal für Verhandlungsbereitschaft mit Brüssel verstanden werden. "Ich hoffe sehr, dass wir mit einem Deal ausscheiden werden", schreibt Johnson. Der Rest liest sich wie eine Zusicherung an die Brexit-Hardliner innerhalb der Tories. Viele Konservative stoßen sich am Backstop, weil Großbritannien damit in der Zollunion der EU bliebe, bis eine andere Lösung gefunden ist. In dieser Zeit könnte London keine neuen Handelsverträge mit Drittstaaten abschließen - und eine eigenständige Handelspolitik war eines der Hauptversprechen des Brexit-Lagers vor dem Referendum.
Absage aus Brüssel
Um die Hardliner innerhalb der Tories zusammenzuhalten und der Brexit-Partei von Nigel Farage das Wasser abzugraben, droht Johnson schon lange mit einem No-Deal-Brexit am 31. Oktober. Bisher schien er darauf zu spekulieren, dass Brüssel seinem Land schon noch Zugeständnisse machen würde, um einen folgenschweren EU-Austritt ohne Abkommen zu verhindern.
Doch die EU kann unmöglich auf Johnsons Forderungen eingehen. Dass das Austrittsabkommen, das Brüssel mit London vereinbart hat, nicht aufgeschnürt wird, ist ein altes Mantra, Vertreter der EU haben das immer wieder deutlich gemacht. Einige Beobachter meinen deshalb, dass Johnson mit seinem Brief vor allem Verhandlungsbereitschaft vermitteln will. Der Premier, so der konservative Abgeordnete Alberto Costa zur BBC, wolle das Austrittsabkommen seiner Vorgängerin Theresa May wieder aufwärmen - um es, mit einigen kosmetischen Änderungen und den Stimmen der oppositionellen Labour-Partei, doch noch durchs britische Parlament zu bringen. Das Reizwort "Backstop" müsste dann wohl gestrichen werden.
Stattdessen schlägt Johnson vor, dass sich beide Seiten verpflichten, von Grenzkontrollen in Irland abzulassen. In der Übergangsperiode sollten dann "alternative Vereinbarungen" getroffen werden. Auch das ist nicht neu, konservative Brexiteers behaupten schon lange, dass Kontrollen in Irland irgendwie umgangen werden könnten. Die Rede ist etwa von Kameras, von moderner Technologie - die es so allerdings nicht gibt. Und der Vorschlag, die Kontrollen in Lagerhallen abseits der Grenze durchzuführen, widerspricht EU-Regeln: Demnach müssen Waren direkt an der Grenze inspiziert werden.
Mit seinem Brief hat Johnson, der diese Woche nach Paris und Berlin reisen soll, den Ball offiziell an die EU gespielt. Aus Sicht des Brexit-Lagers liegt es nun an ihr, einen Austritt ohne Abkommen zu verhindern. Doch Brüssel hält am Backstop fest. Er sei eine Garantie, um eine harte Grenze auf der irischen Insel zu vermeiden, schrieb Ratspräsident Donald Tusk am Dienstag auf Twitter: "Jene, die gegen den Backstop sind und keine realistischen Alternativen vorschlagen, unterstützen die Wiedererrichtung einer Grenze. Auch wenn sie das nicht zugeben." Aus der EU-Kommission hieß es, man sei bereit, Vorschläge zum Backstop zu prüfen. Allerdings habe der Brief nichts Konkretes enthalten.
Die Strategie Johnsons, dass Brüssel schon noch nachgeben wird, um einen folgenschweren No-Deal-Brexit abzuwenden, scheint also nicht aufzugehen. Einige Beobachter glauben ohnehin, dass der neue britische Premier einen ganz anderen Plan hat: Demnach weiß der Tory-Chef durchaus, dass sich Brüssel nicht beugen wird - und will den Briten mit seinem Brief lediglich zeigen, dass er immerhin versucht hat, einen Kompromiss zu finden. In diesem Szenario dient Brüssel als willkommener Sündenbock, der das Königreich in den No-Deal-Brexit getrieben hat. Auf diese Weise könnte Johnson jede Verantwortung von sich weisen und sich als mutiger Premier inszenieren, der dem Volkswillen, den Brexit durchzuziehen, allen Widerständen zum Trotz treu geblieben ist - was ihm auch bei Neuwahlen helfen würde.
Abgeordnete rebellieren
Doch die Abgeordneten im Londoner Unterhaus könnten Johnson einen Strich durch die Rechnung machen. Eine Mehrheit von ihnen will einen EU-Austritt ohne Abkommen verhindern. Sie glauben nicht daran, dass sich Brüssel beugen wird, und setzen lieber auf die unterschiedlichen Möglichkeiten, einen No-Deal-Brexit mit den Mitteln des Unterhauses zu verhindern. Einfach ist das allerdings nicht - und die Zeit drängt. Wenn das Parlament Anfang September nach der Sommerpause wieder zusammenkommt, bleiben gerade einmal acht Wochen bis zum geplanten EU-Austritt.
Der Backstop: Die Notlösung sieht vor, dass es nach dem Brexit keine harte Grenze zwischen dem EU-Land Irland und der britischen Provinz Nordirland gibt: Bleibt Nordirland im Binnenmarkt und Großbritannien in der Zollunion, braucht es auch keine Grenzkontrollen. Im Austrittsabkommen zwischen Brüssel und London steht, dass der Backstop gelten soll, bis eine Lösung gefunden ist, die Grenzkontrollen überflüssig macht. Daran stoßen sich viele Konservative, denn London könnte in dieser Zeit keine neuen Handelsabkommen abschließen.
Doch die EU hält am Backstop fest. Die übrigen Mitgliedstaaten, allen voran Dublin, fürchten, dass eine harte Grenze zu Unruhen in Nordirland führen könnte.