30.000 Firmensitze müssen sich neu orientieren. | Kantone befürchten starke Geldabflüsse. | Hoffnung naht in Form der "gemischten Gesellschaft". | In der gepflegten, aber recht unscheinbaren Baarerstraße im kleinen Schweizer Städtchen Zug sind an nur 14 Adressen beinahe 1000 Firmen ansässig - zumindest steht das am Briefkasten. Hinter den dezenten Häuserfassaden verbergen sich die Büros von Treuhandgesellschaften, Rechtsanwälten und Consultingfirmen, für die Diskretion größte Priorität hat.
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Dabei handelt es sich auch um etliche Firmen, die einen Österreich-Bezug haben. Etwa die Swarco-Holding, zu der Swarovski-Kristalle gehören, auch die Steyr-Daimler-Puch Spezialfahrzeug GmbH oder eine Austro Invest Management AG sind vor Ort, genauso wie das Bauunternehmen Swietelsky aus Linz.
Die via Strohmänner in schweizerischen Zug präsenten Österreicher befinden sich in allerbester Gesellschaft: Weltkonzerne wie die US-Giganten ExxonMobil oder Philip Morris, sind in dem malerischen Alpendorf ebenso vertreten wie der indische Stahlgigant ArcelorMittal, die Multis Royal Dutch Shell und Unilever, die italienische ENI, die französische GDF Suez, die deutsche Siemens-Gruppe oder die russische Gazprom. Der eidgenössische Kanton ist für sie immer noch ein Steuerparadies par excellence - wenngleich nicht das einzige.
Reiche Privatpersonen aus aller Herren Länder schätzen nämlich auch die Steuerschlupflöcher in anderen Kantonen ebenso wie Großkonzerne: Zürich, Genf und Schwyz gelten als beliebte Destinationen, wo zwecks Steueroptimierung gerne derartige Scheinfirmen errichtet werden. In den letzten Jahren haben sich überdies die Kantone Obwalden und Nidwalden, Appenzell-Ausserrhoden, Thurgau, Schaffhausen und St. Gallen als Steueroasen profilieren können.
In der Schweiz gibt es derzeit rund 30.000 solcher Briefkastenfirmen, wobei etwa 85 Prozent von Ausländern gegründet worden sind, die ihren Heimatländern herbe Steuerausfälle bescheren. Gemäß dem im Handelsregister eingetragenen Kapital ergibt sich ein Gesamtvermögen von rund 137 Milliarden Schweizer Franken. Das tatsächliche Volumen dürfte noch viel größer sein: Einschlägige Experten schätzen, dass auf diese Tour jährlich Erträge und Gewinne in Höhe von 20 bis 30 Milliarden Franken anfallen.
Kantone heben keineGewinnsteuer ein
Briefkastenfirmen - die elegantere Bezeichnung lautet Domizilgesellschaften - üben keine Geschäftstätigkeit aus, unterhalten kein eigenes Büro und beschäftigen kein eigenes Personal. Sie dienen ausschließlich der steuerschonenden Behandlung von Vermögen und/oder Erträgen, weil es auf kantonaler Ebene keine Gewinnsteuern gibt und auf Bundesebene bloß ein reduzierter Satz von 8,5 Prozent eingehoben wird.
Sofern sie ausschließlich Beteiligungen verwalten, können sie auf Bundesebene zudem den Beteiligungsabzug geltend machen, womit sich die Besteuerung des Gewinns bis gegen null hin verringern kann. Dank der Briefkastenfirma zahlt ein Unternehmen mit 500.000 Franken Gewinn und einem Eigenkapital von einer Million Franken auf diese Weise pro Jahr 200.000 Franken weniger Steuern, als in der Heimat fällig wären.
Was braucht man dazu? Einen nichtssagenden Phantasienamen - beispielsweise Avensa, Frontex, Intramed, Musena, Rediva oder Wefora - , einen Eintrag ins Handelsregister, eine Adresse, vielleicht noch ein Schild am Briefkasten, sowie ein Bankkonto. Das ist alles, was reiche Ausländer benötigen, um in der Schweiz weitaus weniger Steuern zahlen zu müssen als daheim - den Rest erledigen verschwiegene Treuhänder oder Anwälte. Ihnen sichert ein solches Mandat pro Jahr zwischen 10.000 und 30.000 Franken.
Für viele der alles in allem 13.000 Schweizer Rechts- und Steuerberatungsfirmen (die zusammen nicht weniger als 63.000 Experten beschäftigen), aber auch für Kreditinstitute wie die UBS oder die Zürcher Kantonalbank ein lukratives Geschäft - jedenfalls wissen sie genau, was sie ihrem Land und ihren Klienten schuldig sind.
Das Nicht-EU-Land kämpft inzwischen mit gewaltigen Imageproblemen. Haben die Superreichen dereinst ihr Erspartes eigenhändig im Lederkoffer bei einer der Großbanken in der Zürcher Bahnhofstraße abgeliefert, mussten die Eidgenossen kürzlich ihr Bankgeheimnis preisgeben - nunmehr wird notgedrungen enger mit ausländischen Steuerfahndern kooperiert. Der Druck kam zuletzt nicht nur aus Europa.
Bankgeheimnis wurde schon geopfert
Geschwächt wurde das Schweizer Bankgeheimnis zudem durch den Steuerstreit um die Schweizer Großbank UBS. Die US-Behörden hatten der Bank vorgeworfen, tausenden US-Kunden geholfen zu haben, Geld am Fiskus vorbei in die Schweiz zu schaffen. Um die US-Behörden zu besänftigen, übergab die UBS im Februar 2009 zunächst die Namen von 250 bis 300 US-Kunden, später wurden noch über 4000 Namen übergeben. Allerdings gab das Schweizer Bundesverwaltungsgericht im Jänner einer US-Klägerin Recht, die gegen die Übermittlung ihrer Daten geklagt hatte.
Für Zores sorgt obendrein die Europäische Kommission, der die kantonalen Steuerprivilegien längst ein Dorn im Auge sind. Seit gut drei Jahren vertritt Brüssel den Standpunkt, dass die Schweiz etwa mit der nachsichtigen Behandlung von Domizilgesellschaften gegen das Freihandelsabkommen verstoße.
Bereits Ende 2008 lieferte die unter Druck geratene eidgenössische Politik erste Vorschläge: Sie dachte beispielsweise an die Anpassung der kantonalen Steuern und die Abschaffung der auch im eigenen Land mit gewisser Skepsis verfolgten virtuellen Firmen an. Der Schweizer Bundesrat sei "auf einem guten Weg", lobte damals EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Die Uhren ticken in Österreichs Nachbarland allerdings ziemlich langsam, weshalb seither herzlich wenig passiert ist und der Steuer-Streit folglich noch keinesfalls beigelegt wurde.
Seit die Schweizer Bundespräsidentin Doris Leuthard Mitte Juli Barroso erneut einen Besuch abstatten musste, tüftelt eine Expertenkommission an einem möglichen Kompromiss. Das eidgenössische Finanzdepartment, das gemächlich die Unternehmenssteuerreform III entwirft, ist unter Zugzwang. Jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Eidgenossen zähneknirschend einlenken.
Gemischte Gesellschaft als neuer Briefkasten
Dabei gilt es wahrscheinlich, dass viele Ausländer, darunter auch begeisterte Steuerhinterzieher und professionelle Schwarzgeld-Jongleure, diesfalls massiv Geld abziehen und dem Land beträchtliche Steuerausfälle blühen.
Trotzdem, eines scheint unvermeidbar zu sein: Domizilgesellschaften in der heutigen Form wird es künftig nicht mehr geben.
Die Schweiz wird allerdings - auch das ist sicher - diesen wichtigen Teil ihrer Identität nicht gänzlich opfern: Die derzeitigen Briefkästen dürften nämlich in sogenannte gemischte Gesellschaften umgewandelt werden. Diese können im Land eigenes Personal beschäftigen und ein eigenes Büro unterhalten, ihre Geschäftstätigkeit spielt sich allerdings überwiegend im Ausland ab. Der Steuervorteil - verglichen mit dem Heimatland - wird auch ab 2011 beachtlich sein: Die Kapitalsteuer macht nämlich nur 0,1 Promille des steuerbaren Eigenkapitals aus, und die im Ausland erzielten Erträge werden nach der Anzahl der im Ausland beschäftigten Mitarbeiter besteuert. Beispiel: Bei einer Firma, die in ihrer Heimat sechs bis zehn Mitarbeiter beschäftigt, werden lediglich 15 Prozent der Erträge besteuert - und zwar im Kanton Zug beispielsweise mit vier Prozent (bis 100.000 Franken Gewinn) bzw. mit sieben Prozent (ab 100.000 Franken).
Notgedrungen will das Nicht-EU-Mitglied, das clevere Finanzjongleure naturgemäß auch zu schmutzigen Deals motiviert und sich den Zorn der Union zugezogen hat, in Zukunft seriöser werden: Finanzminister Hans-Rudolf Merz betont gerne, dass sein Land nicht von unversteuerten Geldern abhängig sei - wiewohl sich diese auf geschätzte 800 Milliarden Franken belaufen.
Die Schweiz, offizieller Wohnsitz für zahlreiche steuerminimierende Promis wie Michael Schuhmacher, möchte nun deutsche Unternehmen dazu bewegen, zwecks ganz legaler Geschäfte und nicht bloß wegen seines Steuersystems in die Schweiz zu übersiedeln - Vorbilder sind etwa der Babybreihersteller Claus Hipp, der Milch-Mogul Theo Müller oder der Schrauben-König Reinhold Würth.
Nicht zuletzt möchte die Schweiz auch davon profitieren, dass der ewige Rivale Liechtenstein demnächst ein neues Steuerrecht einführen wird, das seinen Nimbus als Steueroase schwer beschädigen wird. An Stelle der bislang geltenden Pauschalbesteuerung für Domizilgesellschaften, die sich auf rund 1000 Franken pro Jahr beläuft, wird es künftig eine 12-prozentige Unternehmenssteuer geben. Das könnte bedeuten, dass etwa zahlreiche Stifter die Lust am Fürstentum verlieren und abwandern werden. Jorge G. Lombardi, Chef der Swissco Treuhand S.A. in Baar/Kanton Zug, rät jedenfalls potenziellen Kunden, die keinen "folgenschweren Fehler" machen möchten, von weiteren Engagements in Liechtenstein nachdrücklich ab.