Die Ablehnung der nordirischen DUP macht es Johnson schwieriger, sein Austrittsabkommen durchs britische Unterhaus zu boxen. Bis Samstag muss der Premier die Brexiteers in seiner Partei überzeugen.
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Jetzt liegt es schon wieder an der DUP. Schon einmal hat die Kleinpartei aus Nordirland ihre Macht bis nach London ausgedehnt. Als Königsmacher für Premierministerin Theresa May haben die Unionisten das ursprüngliche Austrittsabkommen mit Brüssel verhindert. Lediglich Nordirland in der Zollunion der EU zu lassen, das war mit der DUP nicht zu machen. Doch was jetzt mit Boris Johnsons Deal auf dem Tisch liegt, können die Unionisten schon gar nicht akzeptieren: Die Zollkontrollen auf der Irischen See, also zwischen Nordirland und Großbritannien, sind im neuen Abkommen keine "Notlösung" mehr, sondern eine permanente Angelegenheit - sofern sich nicht eine Mehrheit im nordirischen Parlament dagegen ausspricht.
Um das Abkommen zu ratifizieren, braucht Johnson eine Mehrheit im britischen Unterhaus, mindestens 320 Abgeordnete müssen am Samstag für seinen Deal stimmen. Mit rund 260 Tories kann er ohnehin rechnen, Johnson muss also mindestens 60 Parlamentarier überzeugen.
Brexiteers entscheidend
Für Johnson fängt der wahre Kampf damit erst an. Zwar nimmt die DUP in Westminster nur zehn Sitze ein. Doch wollen viele Tory-Brexiteers nur für den Deal stimmen, wenn die nordirischen Unionisten mitziehen.
Entscheidend dürfte das Urteil des einflussreichen Hinterbänklers Steve Baker sein. Er ist Chef der anti-europäischen "European Research Group", einer Rechts-außen-Gruppe von 80 Tories und so etwas wie eine Partei innerhalb der Partei. "Wenn Baker dafür ist, werden ihm viele folgen", sagt Melanie Sully. Die Politologin erinnert daran, dass die Brexiteers in erster Linie Freihandelsabkommen mit dem Rest der Welt abschließen wollen - mit Johnsons Deal ist das möglich. "Kriegt er noch ein paar Labour-Leute, dann kann Johnson den Verlust der DUP vielleicht kompensieren."
Zudem könnten etwa 19 Labour-Leute, die sich für den Brexit ausgesprochen haben, Johnson unterstützen. Parteichef Jeremy Corbyn ist hingegen "unglücklich" mit dem Abkommen. Der neue Deal sei noch schlechter als der von Theresa May, so Corbyn am Donnerstag in Brüssel. Er gefährde unter anderem die Sicherheit von Lebensmitteln, den Umweltschutz und die Arbeitnehmerrechte. Labour will ein zweites Referendum.
Von den 21 Tory-Rebellen, die Johnson im September aus der Partei geworfen hat, weil sie einen No-Deal-Brexit blockieren wollten, dürften indes die meisten für das neue Austrittsabkommen stimmen. Immerhin wollen sie einen Austritt ohne Abkommen verhindern.
Die DUP ist hingegen gespalten. Kontrollen in der Irischen See sind für die Unionisten eine "blutrote Linie" und eine inakzeptable Verletzung der Union mit Großbritannien. Lehnt die DUP Johnsons Deal ab, dann riskiert sie eine harte Grenze zu Irland, schwere Schäden für die nordirische Wirtschaft und ein Ende der guten Beziehungen mit Boris Johnson. Grenzkontrollen bedeuten zudem, dass die Rufe nach einer Wiedervereinigung mit der Republik im Süden lauter würden - ein Horrorszenario für die Unionisten im Norden.
Stimmt die DUP hingegen für den Deal, werden andere unionistische Parteien ihr Verrat an der Union vorwerfen. Das könnte das Ende der DUP als größte Partei Nordirlands bedeuten.
Treffen mit Paramilitärs
Die ganze Woche sind die DUP-Chefs in der Downing Street ein und aus gegangen. Zurück in Nordirland trafen sich hochrangige Parteimitglieder mit Führungsfiguren der gewaltbereiten Loyalisten. Diese Gruppen haben angedroht, im Fall von Kontrollen auf der Irischen See wieder zur Waffe zu greifen. Mit den loyalistischen Paramilitärs soll die DUP über das Austrittsabkommen gesprochen haben.
Danach fragten sich viele, wie die Partei ihre Entscheidungen trifft. Mit ihren Wählern setzt sich die DUP kaum auseinander. "Mit ihrer neuen Macht in London hat die Partei ihre Wähler noch mehr aus den Augen verloren", sagt Deirdre Heenan. Die Professorin für Sozialwissenschaften an der Ulster University ist überzeugt, dass die konservativen Brexiteers für Johnsons Deal stimmen werden: "Sie verlieren die Geduld mit den Unionisten."
Die DUP hat sich in eine missliche Lage manövriert. Vor dem Referendum hat sie Stimmung für den EU-Austritt gemacht - ohne daran zu denken, was der Brexit für die Menschen in Nordirland bedeutet. Die britische Provinz in der Zollunion der EU zu lassen war wohl von Anfang unumgänglich: Soll die Grenze offen bleiben, muss Nordirland im selben Regelwerk sein wie das EU-Mitglied Irland im Süden. Doch anstatt sich darauf vorzubereiten, hat die DUP wieder und wieder betont, dass es keinen Sonderstatus für Nordirland geben darf. Genauso wenig versuchte sie zu erklären, was eigentlich das Problem mit Grenzkontrollen auf der Irischen See ist - abgesehen von einer diffusen Angst vor der Abnabelung vom Königreich.
EU schließt Vertagung aus
Ob es einen Deal gibt oder das Vereinigte Königreich die EU ohne Abkommen verlässt, ob die irische Grenze offen bleiben kann oder es wieder Kontrollen geben muss, diese Entscheidung liegt nun bei den Abgeordneten in Westminster. Die wichtigste Entscheidungshilfe bekamen sie am Donnerstag von der EU. Sollte die Übereinkunft abgelehnt werden, will EU-Ratspräsident Donald Tusk auf den Verlängerungsantrag für den britischen Verbleib warten und danach die Staats- und Regierungschefs konsultieren. "Dann sehen wir weiter", sagte Tusk am Donnerstagabend in Brüssel. Und: "Unsere Absicht ist das Hinarbeiten auf die Ratifizierung." Deutlicher wurde Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker: Er sagte, man werde den Brexit keinesfalls noch einmal verschieben. Damit bleibt nur eine Alternative zu Johnsons Austrittsabkommen: ein Brexit ohne Deal.