Die Debatte um die Finanzsteuer zeigt die Grenzen der Vertiefung der EU auf.
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Brüssel. Was war das doch für ein Aufschrei: Als vor fast zehn Jahren der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld eine Unterscheidung zwischen dem alten und dem neuen Europa machte, waren westliche Teile dieses Kontinents empört. Denn die Franzosen und die Deutschen zählte der US-Politiker zu den Alten und die Polen beispielsweise zu den Neuen. Auch wenn hinter Rumsfelds Aussagen US-Interessen standen - Warschau hatte zur Unterstützung der USA Truppen in den Irak-Krieg geschickt -, hätte die EU nicht überrascht sein dürfen von der Differenzierung. Denn in der Union selbst war bereits eine ähnliche Debatte am Laufen.
Das Europa der zwei Geschwindigkeiten wurde damals als bedrohliches Szenario diskutiert. Das wurde von der Realität aber längst überholt, schon allein wegen der Entstehung der Eurozone, der nicht alle EU-Länder angehören. Der Geschwindigkeiten sind sogar mehr als zwei geworden. Und das Ringen um die Einführung einer europäischen Steuer auf Finanztransaktionen macht dies erneut deutlich.
Wenn nicht alle mitmachen wollen, dann könnten es wenigstens ein paar tun, befinden nämlich einige der Staaten, die an der Abgabe auf Finanzgeschäfte besonders interessiert sind. Dabei müssen nicht einmal die Mitglieder der Eurozone geschlossen auftreten. Denn der Vertrag von Lissabon, der unter anderem das Verhältnis der EU-Institutionen zueinander regelt, hat in einigen Bereichen das Prinzip der Einstimmigkeit aufgehoben. "Verstärkte Zusammenarbeit" heißt das Instrument, mit dessen Hilfe eine Gruppe von Staaten vorpreschen kann. Diese Möglichkeit ließen zuletzt sowohl der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble als auch Österreichs Außenminister Michael Spindelegger offen.
Berlin und Wien gehörten denn auch zu den Unterzeichnern eines Briefes, den neun Länder an Dänemark gerichtet haben, das derzeit den EU-Vorsitz innehat. In dem Schreiben drängten die Finanzminister auf die rasche Einführung einer Transaktionssteuer. Und wenn sich neun Staaten finden, können sie schon eine Initiative im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit starten.
Daher glauben etliche Finanzexperten, dass die Abgabe sehr wohl umgesetzt werden könne, auch wenn sie für den gesamten EU-Raum totgesagt wird. Der österreichische Spitzenbeamte Thomas Wieser, der in Brüssel die Arbeitsgruppe der Eurogruppe leitet, formulierte es gegenüber dem ORF-Radio so: "Die Finanztransaktionssteuer ist nicht gestorben, aber die Geburtswehen dauern an."
Es ist nicht das einzige Beispiel für Maßnahmen, die manchen Ländern nicht schnell genug gesetzt werden können und andere wiederum ablehnen. Auch beim Fiskalpakt für strengere Budgetdisziplin gibt es unterschiedliche Meinungen: Die Briten verweigern die Zusammenarbeit, die Polen wollen verstärkt eingebunden werden, die Tschechen fürchten innenpolitische Probleme. So unterschrieben das Dokument 25 und nicht 27 EU-Mitglieder.
Dass aus dem Schengenraum, in dem Reisen ohne Grenzkontrollen möglich ist, einige Staaten ausgeschlossen sind oder manche Länder ihre Arbeitsmärkte mit Übergangsfristen schützen, sind weitere Zeichen für die unterschiedliche Entwicklung innerhalb der EU. Die Möglichkeit der verstärkten Zusammenarbeit könnte die Spaltungen noch vorantreiben. Andererseits sind der Vertiefung einer Union mit mehr als zwei Dutzend Mitgliedern sowieso Grenzen gesetzt. Verstärkte Zusammenarbeit könnte da ebenso gut Bewegung reinbringen.