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Britannia weint

Von Melanie Sully

Gastkommentare
Melanie Sully ist gebürtige Britin, Politologin und leitet das in Wien ansässigen Instituts für Go-Governance.

Wie die Bevölkerung und die Politik auf der Insel mit Verlusten umgehen.


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Das von Terror und Tragödien überschattete Jahr 2017 droht für Großbritannien ein "annus horribilis" zu werden. Premierministerin Theresa May wurde zu einer einsamen, traurigen Figur. Wie viele Frauen in der Politik hat sie kein anerkanntes Netzwerk um sie herum, das ihr aus der Patsche helfen könnte. Wenn man die Politik einmal beiseite lässt, ist klar, dass May sehr fleißig, engagiert, gewissenhaft und akribisch ist und Statistiken beherrscht. Während sie an Diabetes leidet, macht sie einfach mit dem Job weiter.

Allerdings erwarten sich Wähler heutzutage mehr. Sie wollen Empathie, Emotionen - und dass Politiker ihrem Schmerz und Leid zuhören. Labour-Chef Jeremy Corbyn tut dies naturgemäß, jedoch auf altmodische Weise. Er hat eine Leidenschaft, die auf einer Ideologie für die weniger Privilegierten aufbaut, aber er hütet sorgsam sein Privatleben. Sowohl May als auch Corbyn gehören einer Generation von Briten an, die dazu erzogen wurden, allzu persönliche Gefühle zu unterdrücken.

Allerdings gehört dieser steife Oberlippenstereotyp der Vergangenheit an. Vor gut 20 Jahren hat sich mit dem Tod von Prinzessin Diana einiges gut sichtbar verändert. Damals gab es einen massiven Ausbruch von spontaner öffentlicher Trauer, der die Monarchin, die Kontinentaleuropäer und sogar die ganze Nation selbst, die so etwas nicht gewohnt war, überraschte. Dieses kollektive Trauma wurde von einem sichtbar erschütterten Premierminister Tony Blair, der Diana die "Prinzessin des Volkes" nannte, in Worte gefasst. Worte, die mit dem Leid der Nation ihren Nachhall fanden.

Das historische emotionale Defizit beschreibt das englische Temperament besser. Die Schotten sowie die passionierten Iren und Waliser haben keine solchen Hemmungen. Premierministerin May tut sich schwer mit der Trauer gewöhnlicher Menschen. Ihr Spitzname "Maybot" rührt daher, dass sie eher wie ein Roboter und nun auch zunehmend ferngesteuert wirkt.

Diane Abbott von der Labour Party wiederum wirkte in Interviews während des Wahlkampfs sehr ungeschickt, als sie zu ihrem Spezialgebiet, nämlich der Anzahl der Polizeikräfte, befragt wurde. Später wurde mitgeteilt, dass Abbott unter Diabetes leide und sich durch eine Reihe von Interviews gekämpft habe. Sie erhöhte daraufhin ihre Mehrheit bei der Wahl. Die britischen Wähler wissen, dass Politiker Menschen sind, die krank werden können und das auch zeigen dürfen.

Erst vor kurzem konnten Dianas Söhne, Prinz William und Harry, über ihren Schmerz sprechen, den sie nach dem Tod ihrer Mutter verspürten. Es war eine Geschichte voller Frustration und Trauer. William erklärte, er sei entschlossen, seine Kinder deren Gefühle nicht unterdrücken zu lassen. Sie sollten in der Lage sein, mit Tränen und Tragödien besser zurechtzukommen. Sie würden Freude und Trauer erfahren, jedoch besser vorbereitet sein, um mit Verlusten umzugehen.

Großbritannien hat sich geändert. Soziale Krisen und die Not der Armen blieben früher ungehört. Damit ist jetzt Schluss. Nun wird die stille Trauer durch Wut ersetzt, und die Politiker werden es in Zukunft schwer haben, diese zu ignorieren.