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Briten gießen Öl ins syrische Feuer

Von Michael Schmölzer

Analysen

EU-Staaten dürfen Waffen liefern - die Gefahr besteht, dass Kriegsgräuel potenziert werden.


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Damaskus/Washington. Großbritannien hat ein Ende des EU-Waffenembargos gegen Syrien herbeigeführt. Der Schritt wird die Lage der Rebellen nicht verbessern, sondern die Kämpfe weiter anheizen, warnen Skeptiker. Tatsächlich besteht die Gefahr, dass der Krieg, der mehr als 70.000 Opfer gefordert hat, blutiger wird, das tödliche militärische Patt aber bestehen bleibt. Wenn die Rebellen Waffen aus der EU beziehen, wird Russland seinerseits die syrische Armee in noch größerem Ausmaß aufrüsten. Soll der Krieg tatsächlich in absehbarer Zeit entschieden werden, müsste die militärische Supermacht USA zu einem groß angelegten Schlag ausholen, die syrische Luftwaffe ausschalten und Bodentruppen entsenden. Dass es dazu kommt, ist derzeit völlig undenkbar.

Gefährliche Illusionen

Während alle nicht-militärischen Sanktionen gegen das Regime Assad aufrecht bleiben, kann jedes EU-Land fortan selbst entscheiden, ob es Waffen an die syrische Opposition schickt oder nicht. Der britische Außenminister William Hague will nicht einmal bis August abwarten, ob die Syrien-Konferenz erfolgreich ist, die derzeit von den USA und Russland fieberhaft vorbereitet wird und die Rebellen wie Regime an einen Tisch bringen soll. In London wird argumentiert, dass allein die Perspektive, dass man die Opposition bewaffnen könnte, den Druck auf Assad verstärkt und den Diktator an den Verhandlungstisch zwingt. Die britische Regierung geht auch davon aus, dass man per Abnehmer-Zertifikaten gezielt die moderaten Kräfte aufrüsten und die Islamisten, allen voran die mit der Al-Kaida verbündete Al-Nusra-Front, in den Hintergrund drängen kann.

Die Gefahr ist groß, dass London irrt und das Kalkül der Briten Startschuss zu einen Rüstungswettlauf wird, der die Intensität der Kämpfe und die unvorstellbaren Kriegsgräuel potenziert. Russland wird den Briten nicht nachstehen und ebenfalls Waffen ins Land schicken, allerdings an die Adresse der Armee. Moskau hat bereits auf das EU-Embargo-Ende reagiert und weitere Lieferungen an Kriegsmaterial angekündigt. Die Begründung: Man wolle damit eine "Intervention von außen" verhindern. Moskau wird Assad Fliegerabwehrraketen liefern, um "Hitzköpfe" aus dem Ausland davon abzuhalten, in den Bürgerkrieg einzusteigen.

"Halbe Sachen" nutzlos

Der Drohung des stellvertretenden russischen Außenministers Sergei Ryabkov ist an Deutlichkeit nichts hinzuzufügen. Das Statement ist ein Schuss vor den Bug all jener internationalen Akteure, die Eingriffe erwägen. Kandidaten gibt es viele, allen voran Israel, das in Syrien bereits mehrmals Ziele beschossen hat, damit hochkomplexe Waffensysteme nicht in die Hände der Hisbollah geraten. Auch Barack Obamas Außenminister John Kerry spielt mit dem Gedanken eines direkten Eingreifens. Er spricht von "starken Hinweisen", dass das syrische Regime Chemiewaffen einsetzt. Die Verwendung derartiger Waffen gilt in den USA als "rote Linie", die, wenn sie überschritten wird, eine völlig neue Lage schafft. Auch Frankreichs Außenminister Laurent Fabius zufolge gibt es immer mehr Anzeichen darauf, dass Assads Armee die geächteten C-Waffen einsetzt. Laut einem "Le Monde"-Bericht geschieht das absichtlich nur fallweise, "punktuell", um nach der Verwendung Spuren zu verwischen und trotzdem Panik unter der Bevölkerung zu verbreiten. Die Regierung in Paris will wie Großbritannien Waffen an die syrischen Rebellen liefern.

Militärstrategen weisen darauf hin, dass ein Eingreifen nur im ganz großen Maßstab eine Entscheidung zu Gunsten der Rebellen zur Folge hätte. "Halbe Sachen", heißt es hier, brächten nichts. Ohne eine umfassende Flugverbotszone, wie sie von der Nato in Libyen eingerichtet wurde, und den Einsatz von Bodentruppen ist ein Ende des Regimes Assad derzeit nicht denkbar.

Ein weiterer "Hitzkopf", der in Syrien aus russischer Sicht alles auf eine Karte setzten will, ist der republikanische Senator und Ex-US-Präsidentschaftskandidat John McCain. Am Dienstag wagte sich der Vietnam-Veteran nach Syrien, um die militärische Führung der Rebellen zu treffen. McCain ist im Kongress jener Mann, der Assad kompromisslos an den Kragen will. Dass sich seine Position in Washington durchsetzt, ist unwahrscheinlich.

Eine Entscheidung im Kräftemessen zwischen Regime und Rebellen ist nicht in Sicht. Westliche Mächte werden die Rebellen in einem beschränkten Maß aufrüsten, Russland die Armee beliefern. Die Kämpfe kochen auf einem noch blutigeren Niveau weiter, ohne dass man einem Friedensschluss näher kommt. Ein solcher wird von Washington und Moskau derzeit in Paris vorbereitet und soll in Genf in den nächsten Tagen starten. Die Vorzeichen sind wenig ermutigend: Moskau hat die Aufhebung des Waffenembargos gegen Syrien umgehend als "schädlich" für die Verhandlungen bezeichnet, auch sonst dürfte es fast ein Ding der Unmöglichkeit sein, das Regime und die intern zerstrittene Opposition an einen Verhandlungstisch zu bekommen.