Zum Hauptinhalt springen

Britische Kaufleute wollen Pfund und Unze behalten

Von Juliette Baillot

Wirtschaft

Die Briten haben es mit Kontinental-Europa nicht leicht. Jahrhundertealte Invasionsängste, die Furcht vor der Vereinnahmung durch die EU und die Gemeinschaftswährung Euro · und nun muss die Insel | auch noch das bewährte Gewichtssystem Kanal-überspannenden Konformitätsbestrebungen opfern.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 24 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Zu viel", rufen empört viele Kaufleute im Königreich, die Obst und Gemüse seit dem 1. Jänner eigentlich nach Kilogramm und Gramm und nicht mehr nach Pfund und Unze abwiegen müssen, dies aber

vielfach ablehnen.

Die stets für Europa-Kritik offene Presse feiert die Gegner des metrischen Systems bereits als "Märtyrer". Die Regierung verweist dagegen verwundert auf die schon seit Ende der 60er Jahre laufende

Reform des britischen Maß- und Gewichtsystems und droht Verweigerern mit saftigen Geldstrafen.

"Das sind keine Märtyrer. Märtyrer verlieren. Sie sind Helden, Champions, und werden siegen", sagt Vivian Linacre, Geschäftsführerin der Britischen Vereinigung für Gewichte und Maße (BWMA). Der

Verband hat eine groß angelegte Kampagne gegen die metrische Reform ins Leben gerufen und will das 453,59 Gramm schwere Pfund und die 28,35 Gramm schwere Unze beibehalten - von "stones" (14 Pound)

und "furlong" (201 Meter oder eine Achtelmeile) ganz zu schweigen.

Linacre zufolge haben trotz der gesetzlichen Vorgabe rund ein Drittel der 60.000 Geschäfte in Großbritannien noch immer nicht auf das metrische System umgestellt. Seit 1969, als zunächst die

Währungsunterteilung mit Pfund, Shilling und Pence auf das Dezimalsystem umgestellt wurde, läuft die Angleichung an die Gepflogenheiten auf dem Kontinent bereits, der Handel, der Verwirrung bei den

Kunden fürchtet, hatte aber eine lange Schonfrist erhalten. Im Gegensatz zu vielen kleineren Geschäften haben sich die großen Supermarktketten der "Anti-Metric"-Bewegung zudem nicht angeschlossen.

Sie setzen auf Information ihrer Kunden und weisen an Verkaufstheken und -ständen auf die Umrechnung in die alten Gewichte hin.

Die Rebellen argumentieren indes mit Wirtschaftsbereichen, die von der Reform ausdrücklich ausgenommen sind. So wird Bier und Cider in den Pubs auch weiterhin als Pint (0,57 Liter) ausgeschenkt und

"Miles", "Yards", "Feet" und "Inches" werden etwa in der Luftfahrt oder der Bauindustrie auch künftig als Längenmaße genutzt.

Der Mix aus altem und neuen System schlägt nicht selten in Verwirrung um: So sehen sich Autofahrer, die ihren Spritverbrauch stets in Meilen je Gallonen ausrechneten, an den Zapfzäulen nun mit

Litermaßen konfrontiert. Und um den auf dem europäischen Festland üblichen Maßstab (Liter auf 100 Kilometer) zu nutzen, fehlen auf der Insel schlicht und einfach die Kilometer-Angaben auf dem

Armaturenbrett.

Nach dem Ende der Schonfrist droht die Regierung Verweigerern unter den britischen Händlern nun mit Geldstrafen von bis zu 2000 Pfund. Linacre glaubt aber, dass die harte Strafandrohung den

Widerstand nicht brechen wird. "Es wird Tausende geben, die 'Nein' sagen werden, die einer Regulierung entgegentreten, die als totalitäre Maßnahme einem faschistischen Regime würdig wäre." Bruce

Robertson, Chef der Ladenkette Trago Mills und BWMA-Präsident, sagt: "Wenn ich mehr als zehn Pfund zahlen muss, bin ich lieber bereit, ins Gefängnis zu gehen."