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Britischer Prellbock geht in Stellung

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Premier Cameron erwägt dreifaches Veto, Tory-Rechte macht Druck.


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London. Ein Herbst und Winter der offenen Konfrontation soll es werden. Die Briten wollen sich von der EU nicht länger sagen lassen, wo es langgehen soll. Premierminister David Cameron erwägt bereits ein dreifaches Veto bei anstehenden Unions-Entscheidungen. Innenministerin Theresa May will ihr Land aus über 130 EU-Vereinbarungen im Justiz- und Polizeibereich "ausklinken". Sogar den Zuzug von EU-Bürgern nach Großbritannien wollen sie und Cameron erschweren.

Acht Minister der Cameron-Regierung sollen außerdem schon jetzt mit einem britischen EU-Austritt liebäugeln. Das meldet die "Financial Times" in London. Der erste hohe Tory-Politiker, der sich in diesem Jahr entsprechend äußerte, war Camerons Ex-Verteidigungsminister Liam Fox. Fox, der besondere Liebling der Parteirechten, sah einen EU-Ausstieg "nicht als etwas Furchterregendes". Am vorigen Wochenende bekannte sich auch Bildungsminister Michael Gove zu den Abzugs-Willigen. Wenn es London nicht gelinge, Brüssel weitreichende Befugnisse wieder abzuringen und sie an Westminister zurückzugeben, dann sei auch er für einen Verzicht auf weitere EU-Mitgliedschaft, erklärte Gove.

Stetig verhärtet sich in diesen Tagen die Haltung der Cameron-Riege zur Europäischen Union. Grund dafür sind die neuen Integrations-Bemühungen der Eurozone, die von vielen Briten als bedrohlich wahrgenommen werden. Der Premier findet sich unter zunehmendem Druck seiner Parteirechten - und der Unabhängigkeits-Partei UKIP, die den sofortigen EU-Austritt verlangt und an Wähler-Beliebtheit bereits die Liberaldemokraten, Camerons Koalitionspartner, überholt hat.

Man will nicht im zweiten Glied marschieren

Im Spannungsfeld zwischen diesen Fronten sucht Cameron verzweifelt zu manövrieren. Den Verbleib der Insel in der EU hält er für unerlässlich - schon damit London weiteren Einfluss auf die Regeln des Gemeinsamen Marktes oder auf die EU-Außenpolitik ausüben kann. Andererseits scheint die Tory-Spitze zu dem Schluss gekommen zu sein, dass mit der neuen Entwicklung der Eurozone die Zeit für eine zweigeteilte Union unweigerlich gekommen ist. Ihr Land, meinen sie, werde künftig noch mehr als bisher im "zweiten Glied" marschieren. An der Kern-EU werde es nicht beteiligt sein. Aber deren Beschlüsse dürften nicht ohne Londons Zustimmung gefasst werden.

So hat Cameron bereits für die kommenden Verhandlungen zum EU-Budget ein britisches Nein in Aussicht gestellt, wenn das neue Budget nicht kompromisslos eingefroren werde. Auch bei der Banken-Union, bei der er die Interessen der City wahren will, behält er sich ein Veto vor. Zu einem späteren Zeitpunkt will er sehen, ob London mit einem neuen, stärker verzahnten Modell der EU glücklich werden könne. Dank der Veto-Möglichkeiten Londons sei man "in einer ziemlich starken Position", hat der Premier jetzt verlauten lassen. Die Partner wüssten ja, "dass ich durchaus fähig bin, Nein zu sagen".

Die zunehmend scharfe Rhetorik an der Regierungsspitze hat in den letzten Monaten allerdings die Tory-Rechte nicht besänftigt, sondern sie eher zu immer drängenderen Forderungen veranlasst. Möglichst bald wollen Skeptiker und EU-Gegner ein Referendum sehen, bei dem die Bevölkerung auch über einen EU-Austritt soll abstimmen können. Cameron und May haben auf diesen Druck wiederum mit weiteren Breitseiten, mit immer schärferem Beschuss der EU-Galeone reagiert. Die Idee mit der Begrenzung der Freizügigkeit von EU-Bürgern und der jüngste Plan der Komplett-Abkoppelung Londons aus der Polizei- und Justiz-Kooperation der EU binnen zwei Jahren waren Ausdruck solcher Reaktionen.

Angst vor Isolation

und Ohnmacht

Mehr als ein Plan ist letztere Maßnahme zwar noch nicht. Im Augenblick weiß nicht einmal Ministerin May, ob London nach einem solchen Rückzug je wieder dem einen oder anderen Projekt beitreten könnte, wenn es wollte. Außerdem wollen sich die pro-europäischen Koalitionspartner der Tories, die Liberaldemokraten, dem Vorhaben widersetzen. Die kleine Partei Nick Cleggs fürchtet, dass die Konservativen bei den EU-Partnern immer mehr an politischem Kapital verspielen - und so Britannien immer mehr in die Isolation, in eine Position der Ohnmacht getrieben wird.

Ein prominenter Finanzsprecher der Liberaldemokraten, Lord Oakeshott, hat denn auch schon vor einer solchen Politik der Isolation gewarnt: "Cameron, Gove und May sollten klüger sein, als der wildschnaubenden anti-europäischen Tory-Rechten und UKIP derartige Fleischhappen zuzuwerfen." Auch Wirtschaftskapitäne im Vereinigten Königreich zeigen sich zunehmend nervös, was den EU-Kurs ihrer Regierung betrifft. Lord Kerr, ein früherer britischer Botschafter in Brüssel, hält Großbritanniens Rolle im Gemeinsamen Markt für gefährdet, "wenn London künftig nicht mehr in sehr vielen europäischen Räumen mit dabei ist".