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Britisches gutes Leben

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik
Den Briten werde es gut gehen , wenn er weiter an der Regierungsspitze bleibt, sagt David Cameron - doch nicht jeder ist von der Richtigkeit dieser Aussage überzeugt.
© fotolia

David Cameron macht Wahlkampf mit "the good life".


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London. Drei Wochen vor den britischen Unterhauswahlen hat David Cameron nun also auch den passenden Wahlkampf-Slogan gefunden. "The good life", das gute Leben, soll seinen Landsleuten mit ihm beschieden sein. Jobs, Einkünfte, mehr Eigentum und weniger Steuern hat er den Briten versprochen, so sie seiner Konservativen Partei für die nächsten fünf Jahre wieder ihre Stimme geben. Schon jetzt, glaubt der Briten-Premier, sei das Land auf dem besten Weg in eine neue Wohlstands-Welt.

Seine Zuversicht begründet Cameron vor allem mit dem britischen Wirtschaftswachstum, das spürbar angezogen hat seit Anfang vorigen Jahres. Es ist mit 2,8 Prozent das gegenwärtig höchste unter den G7-Staaten. Britische Löhne steigen, nach einer Periode stagnierender Einkommen, erstmals zögernd wieder. Inflation gibt es keine. Der Schuldzins ist niedrig. Und die Arbeitslosigkeit beträgt nach letzten Erhebungen "nur" 5,7 Prozent.

Verzerrung durch Teilzeitjobs

Zwei Millionen neue Jobs will Cameron geschaffen oder "ermöglicht" haben, seit er 2010 in No.10 Downing Street einzog. Hier beginnen freilich auch die Schwierigkeiten mit den Früchten des "Langzeitplans" der Tories. Denn viele der neu geschaffenen Arbeitsplätze sind Teilzeit-Jobs, Jobs mit begrenzter Laufzeit oder unterbezahlte Tätigkeiten ganz ohne Absicherung.

Die Tory-Rede vom "neuen Boom" in Britannien kaschiere letztlich nur die harsche Wirklichkeit einer permanenten Billiglohn-Gesellschaft auf der Insel, erklärt darum die Labour Party, die Hauptgegnerin der Tories bei der Wahl am 7. Mai. Auch die Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes TUC, Frances O’Grady, klagt darüber, "dass das Vereinigte Königreich sich äußerst schnell wandelt in eine Nation der Niedriglöhne und geringer Produktivität".

In der Tat ist britische Produktivität in den letzten Jahren zum Beispiel hinter der US-amerikanischen, der deutschen oder der französischen deutlich zurückgeblieben. Seit 1948, meldete jüngst das nationale Amt für Statistik, habe Großbritannien in dieser Hinsicht keine so schlechte Periode mehr erlebt wie zur Cameron-Zeit.

"Tickende Zeitbombe"

Albert Edwards, der Globalstrategie-Chef der Investment-Bank Société Générale in London, spricht denn auch von einer "tickenden Zeitbombe", die irgendwann nach den Wahlen hochgehen werde - weil es der Cameron-Regierung nicht gelungen sei, die "grotesk hohen Defizite" im Bereich der öffentlichen Finanzen wie bei der nationalen Handelsbilanz in den Griff zu bekommen.

2010 hatte Camerons Schatzkanzler George Osborne immerhin noch gelobt, die staatliche Geldaufnahme binnen fünf Jahren von 150 Milliarden Pfund auf rund ein Viertel dieser Summe zu drücken. Stattdessen steht die jährliche Neuverschuldung, trotz aller drakonischen Einsparungen und abgewürgten Investitionen, noch immer bei 90 Milliarden Pfund.

Das Außenhandels-Defizit, fast 100 Milliarden Pfund im Vorjahr, bereitet ebenfalls beträchtliche Sorge. Vor allem der Güterexport hat sich als chronisch schwach erwiesen. Die Regierung hat es, laut Urteil der Britischen Handelskammer, nicht geschafft, die Wirtschaft der Insel zugunsten von Industrie und Exporten neu auszutarieren, wie sie es vor fünf Jahren feierlich versprach.

Konjunktur hängt an der City

Viel vom gegenwärtigen Konjunkturaufschwung hängt so weiterhin am Finanzbetrieb der City - und am heimischen Konsum. Der wiederum gründet sich, wie schon vor Credit Crash und Rezession, zu einem Gutteil auf private Verschuldung. So sind im Vorjahr mehr ungesicherte Kredite als je zuvor in den letzten zehn Jahren aufgenommen worden.

Die private Gesamtschuld - ohne Einrechnung der Haushypotheken - liegt heute bei 440 Milliarden Pfund. Viele Briten haben nach Jahren geringer Einkünfte auch damit begonnen, ihre Sparschweine zu schlachten oder jahrzehntelang angesparte Zusatzrenten zu plündern (was ihnen Osborne dieses Jahr ermöglicht hat).

Kein Wunder, dass die Ansichten über die Teilhabe am "guten Leben" geteilt sind. Manche Umfragen in diesem Frühjahr melden "wachsenden Optimismus" bei Konsumenten und Geschäftsleuten - für die Tories genau rechtzeitig zu den Wahlen. Null-Inflation, gesunkene Benzinpreise, langsam anziehende Löhne und niedrige Hypothekenzinsen schlagen bei einem Teil der Wähler positiv zu Buch.

Viele Briten sind misstrauisch

Ein anderer Teil der Nation hat bisher sehr wenig gespürt vom neuen Wachstum. Diese Briten trauen den "grünen Trieben" nicht. Sie halten die wirtschaftliche Erholung für ungleich verteilt und eh nur für kurzlebig. Wie Albert Edwards hören sie eine "Zeitbombe" ticken und fürchten, dass der gegenwärtige Aufschwung ihnen nicht viel bringt - und kaum lange halten wird.

Bezeichnenderweise sind beide Auffassungen etwa gleich stark vertreten in der Bevölkerung. Seit Monaten liegen die beiden großen Parteien, die diese gegensätzlichen Einschätzungen repräsentieren, in den Umfragen Kopf an Kopf.

Ein Drittel der Wähler neigt den Tories zu, die den staatlichen Sektor weiter kräftig schrumpfen wollen. Ein anderes Drittel unterstützt Labour und den Ruf nach etwas mehr öffentlichen Investitionen, zum Erhalt des Wachstumstrends.

Das letzte Drittel traut keiner der beiden "Großen" zu, Britannien sicher durch die nächsten Jahre zu führen. Immer mehr Briten scheinen zur Überzeugung zu kommen, dass die Zeit für radikalere Lösungen der einen oder anderen Art gekommen ist.