Zum Hauptinhalt springen

Britisches Roulette

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Neuen Schwung wollte die neue britische Regierung bringen - und erntet Sturm.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Das muss man erst einmal schaffen: Kaum 14 Tage im Amt, und nachdem er den höchsten Beamten seines Ministeriums gefeuert hatte, löste der britische Finanzminister Kwasi Kwarteng - Sohn ghanaischer Einwanderer und an den besten Kaderschmieden ausgebildeter Wirtschaftshistoriker - am vorigen Freitag mit einer 25-minütigen Rede ein politisches Erdbeben aus. Dieses führte das Vereinigte Königreich in ein finanzpolitisches Chaos und die Regierung von Premierministerin Liz Truss an den Rand - und möglicherweise auch schon darüber hinaus - des Abgrunds.

Was ist geschehen? Mit seiner Ankündigung eines rund 50 Milliarden Euro schweren Steuersenkungs- und Energiekostenpakets, ausschließlich durch neue Schulden gegenfinanziert, sorgte Kwarteng für eine Massenflucht aus dem britischen Pfund und einen massiven Zinsanstieg auf langfristige Staatsanleihen. Der britische "Economist" nennt Kwartengs Manöver "epic budget-busting". Die Notenbank musste intervenieren mit dem Versprechen, Anleihen unbegrenzt aufzukaufen, um die Märkte wieder zu beruhigen. Zu guter Letzt verpasste auch noch der Währungsfonds den Plänen eine schallende Ohrfeige.

Kaum zu glauben, dass hier eine konservative Regierung am Werk ist, deren stärkster und wohl auch wichtigster Markenkern im Versprechen stabiler Staatsfinanzen und im Verzicht auf finanzpolitisches Roulette liegt.

Zu allem Überdruss hat die neue Regierung keinen Zweifel daran gelassen, wer die Kosten für ihre Luftschlösser berappen soll, indem sie vor allem die höchsten Einkommen entlasten und die Hypotheken kleiner Einkommen als indirekte Folge ihrer Politik deutlich steigen lässt.

Erklärtes Ziel der Regierung ist es, Großbritanniens dahinsiechender Volkswirtschaft wieder ein kräftiges Wachstum zu verschaffen. Aber Wachstum um diesen Preis und mit diesen politischen Prioritäten wird wohl nur von einer Minderheit der Briten als erstrebenswertes Ziel unterstützt werden.

Inmitten einer historischen Vielfachkrise verfügt Großbritannien über eine konservative Regierung, die von allen ihren politischen Instinkten verlassen und bereit ist, auf "Vodoo-Economics" statt gesunden ökonomischen Hausverstand zu setzen. Die mittlerweile zwölf Jahre dauernde Regierungszeit der "Tories", die 2010 mit dem Wahlsieg David Cameron begann, wird dereinst als eine Ära der Irrungen und Verwirrungen in die Geschichte eingehen. Die sehr viel wichtigere Frage ist, in welchem Zustand das Land diese Phase überstehen wird. Derzeit sieht es eher düster aus. Noch deprimierender ist nur, dass auch die EU nicht viel besser dasteht.