Agrarstreit zwischen Ungarn und Österreich wächst sich weiter aus.
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Wien. Lang hat sich Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (ÖVP) nicht in sein neues Amt einleben können, schon sieht er sich mit einem heiklen Konflikt mit seinem ungarischen Kollegen konfrontiert. Zum bereits zweiten Mal binnen Tagen ließ Sándor Fazekas ein vereinbartes Treffen platzen, nun sogar mit dem Verweis, Rupprechter würde mit seinen Äußerungen "die Ungarn ständig beleidigen". Rupprechter bezeichnete die Absagen von Fazekas wörtlich als "unfassbar". "So geht man nicht mit europäischen Partnern um", sagt er.
Dass die binationalen Beziehungen der Landwirtschaftsministerien der beiden Nachbarländer binnen Wochen und so ganz entgegen den gegenwärtigen klimatischen Verhältnissen völlig eingefroren sind, ist einem neuen Bodengesetz in Ungarn geschuldet. Denn dieses Gesetz betrifft auch Österreicher.
Tritt das neue Bodengesetz in Ungarn wie geplant am 1. Mai dieses Jahres in Kraft, würden zahlreiche österreichische Landwirte die von ihnen in Ungarn genutzten Felder verlieren. Von einem auf den anderen Tag. Dass Rupprechter angesichts dessen von einer "Enteignung" sprach, ist zwar einerseits verständlich, berührt aber andererseits den Kernpunkt dieses Konflikts, der tatsächlich kein neuer ist.
200 Bauern in Ungarn tätig
Im Herbst 1994 wurde es Ausländern verboten, landwirtschaftliche Flächen in Ungarn zu erwerben. Mit dem EU-Beitritt 2004 wurde ein Kauf von Boden zwar grundsätzlich erlaubt, jedoch an derart restriktive Bedingungen geknüpft, dass sich faktisch wenig änderte. Dennoch sind derzeit rund 200 österreichische Bauern in Ungarn tätig, schätzt Ernst Zimmerl, der österreichische Agrarattachée in Ungarn. Sie bestellen Felder von insgesamt 200.000 Hektar, sind also alles andere als Kleinbauern. Zum Vergleich: Im gesamten Burgenland beträgt die Ackerfläche 160.000 Hektar.
Wie konnte es also dazu kommen, dass derart große Flächen von Österreichern in Ungarn bestellt werden, obwohl sie keinen Boden kaufen durften? Nun, viele von ihnen schlossen sogenannte Nießbrauchverträge ab, wie Zimmerl erklärt. Das sind keine Kaufverträge, doch im Gegensatz zu Pachtgeschäften (die in Ungarn obendrein auf 20 Jahre Laufzeit beschränkt sind) wird gleich zu Beginn die kumulierte Pachtsumme an den Eigentümer bezahlt. Das neue Gesetz sieht nun vor, dass diese Verträge am 1. Mai 2014 enden müssen, egal wie lange der Vertrag noch laufen würde.
Wie viele von den 200 Österreichern betroffen sind, ist für das Landwirtschaftsministerium nicht zu eruieren. "Wir sind angewiesen darauf, dass sich die Bauern bei uns melden", heißt es aus dem Ministerium. Einige haben vor Herbst 1994 ihren Grund in Ungarn erworben, sie betrifft das Gesetz gar nicht, sie bleiben rechtmäßige Eigentümer.
Das 1994 erlassene Gesetz war eine Reaktion auf einen Preisverfall bei landwirtschaftlichen Flächen im Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft. Binnen weniger Jahre hatte Ungarn massenweise Restitutionen an ehemalige Grundbesitzer und ihre Nachfahren geleistet, die meisten von ihnen - längst keine Bauern mehr - wollten sofort verkaufen. Die Preise pro Hektar fielen etwa auf ein Hundertstel des Niveaus in Österreich, was internationale Investoren nach Ungarn lockte.
Gesetz EU-rechtswidrig?
Mit Nießbrauchverträgen versuchten Ausländer wiederum, dieses Gesetz zu umgehen. Agrarattachée Ernst Zimmerl verweist auf einen Fall, in dem es wegen eines angeblich versteckten Kaufvertrags zur Anklage kam. "Das wurde ausjudiziert, und in allen drei Instanzen behielt der Österreicher recht", erzählt Zimmerl.
Die österreichische Seite leitet unter anderem aus jenem Urteil ab, dass diese Art der Verträge rechtens sind. Da es im Gegensatz zum Kauf in diesen Fällen kein Erbrecht gibt, würde in ein paar Jahren oder auch Jahrzehnten der Grund ohnehin wieder für den (ungarischen) Eigentümer oder seine Nachfahren nutzbar sein.
In Ungarn werden diese Verträge grundsätzlich anders bewertet, und zwar als Scheinkaufverträge. Schon in seiner ersten Amtszeit als Ministerpräsident hatte Victor Orbán die sogenannten "Taschenverträge", also "schwarze" Kaufverträge, zu bekämpfen versucht. Der Erfolg blieb allerdings aus, nur in 26 Fällen wurde überhaupt ermittelt.
Laut Schätzung der Regierung sollen sich jedoch tatsächlich, aber eben versteckt, rund eine Million Hektar im ausländischen Besitz befinden. Unter anderem durch Vereinbarungen, die in andere, eben rechtsgültige Vertragsformen gekleidet wurden. Das 1994 erlassene und mit dem EU-Beitritt novellierte Gesetz läuft nun heuer aus, weshalb Ungarn die Befürchtung hegt, dass die echten Verträge aus den verborgenen Taschen geholt werden.
Durch Ausnahmebestimmungen will die Orbán-Regierung den Zugang von EU-Bürgern zu ungarischen Agrarflächen auch weiterhin erschweren, was Österreich als EU-rechtswidrig bewertet. Rupprechter kündigte bereits an, den Europäischen Rat damit befassen zu wollen. Wenn Landwirtschaftsminister Fazekas nicht gesprächsbereit ist, soll nun der Rat ein Machtwort sprechen.