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Brüchige Brücken zum Kreml

Von Gerhard Lechner

Politik

Österreich trat lange als Vermittler gegenüber Moskau auf - mit wenig Erfolg. Mittlerweile hat man den Kurs geändert.


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Gewöhnlich ist das, was in Österreich passiert, für die Weltpresse von überschaubarem Interesse. Die Zeiten, in denen Wien als eines der Zentren der Weltpolitik galt, sind lange vorbei. Und so hätte die Hochzeit der damaligen Außenministerin Karin Kneissl im August 2018 international wohl auch kaum Beachtung gefunden - hätte Kneissl nicht, einer spontanen Eingebung folgend, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin bei einem Treffen eine Einladung zu ihrer Vermählung in die Hand gedrückt.

Bekanntlich nutzte Putin die unverhoffte Chance, in Österreich Punkte zu sammeln und gleichzeitig in Europa zu demonstrieren, dass es mit der Einigkeit der Union gegenüber Moskau auch nach der Annexion der ukrainischen Krim und dem Krieg im Donbass nicht weit her ist. Der russische Präsident erwies sich an diesem sonnigen Tag in Gamlitz in den südsteirischen Weinbergen als formvollendeter Gast, überreichte Kneissl einen Blumenstrauß, sprach einen Glückwunschtoast und tanzte mit der Braut vor der vergnügten Hochzeitsgesellschaft ein Tänzchen. Kneissl legte einen Knicks vor Putin hin, der ihr die Hand küsste. Die Bilder gingen um die Welt.

Für Österreichs Image im US-geführten Westen waren sie nicht unbedingt förderlich. Und auch in den russlandkritischen Staaten Osteuropas zeigte man sich indigniert: Kneissls Knicks wurde als Kniefall Österreichs vor dem Moskauer Autokraten gedeutet, der Tanz mit Putin brachte vor allem die Ukraine gegen Österreich auf. Mit Mühe gelang es dem damaligen Kanzler Sebastian Kurz und einigen Nationalratsabgeordneten, den Schaden zu begrenzen.

Heute, dreieinhalb Jahre später, ist von den damaligen Irritationen nur mehr wenig zu bemerken. Erstens ist in Kiew mit Wolodymyr Selenskyj ein neuer Präsident am Ruder, der in einem Interview mit der "Wiener Zeitung" die Kneissl-Hochzeit im September 2020 verniedlichend als "kleine Episode" bezeichnete.

Vor allem aber hat sich mittlerweile die Politik Wiens geändert: Es ist kein Zufall, dass Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg am Montag und Dienstag seinen Besuch in der Ukraine gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus Tschechien, Jan Lipavsky, und der Slowakei, Ivan Korcok, absolvierte - im sogenannten "Austerlitz-Format", benannt nach dem tschechischen Slavkov in Mähren, einem Ort, in dessen Nähe nicht nur Napoleon eine Schlacht gewann, sondern der auch nahe der Grenzen der drei Staaten liegt.

"Zentraleuropäisches Signal"

Statt auf die jahrelang - etwa von Kanzler Kurz - gegenüber Moskau und auch Minsk gepredigte Rhetorik, wonach sich Österreich als "Brückenbauer" und Vermittler sieht, setzt man in letzter Zeit wieder vermehrt auf zentraleuropäische Nachbarschaftspolitik. Und obwohl Tschechien und die Slowakei keine so kompromisslose Politik gegenüber Moskau betreiben wie etwa Polen und die baltischen Staaten, ist die Skepsis gegenüber der Politik des Kremls auch in Prag und Bratislava groß.

Und so unterstrichen die drei Minister, die neben Außenminister Dmytro Kuleba auch Selenskyj trafen, in Kiew unisono ihre Solidarität mit der Ukraine. Diese müsse selbst auswählen können, "ob sie sich der EU und der Nato anschließen will", sagte Lipavsky. Schallenberg sprach davon, dass die Sicherheit und Stabilität der Ukraine "auch die unsere" sei. Man teile denselben Kulturraum. Der Besuch sei ein "zentraleuropäisches Signal", um die Ukraine zu unterstützen.

Dass diese Unterstützung Kiews seitens Wiens Grenzen hat, wurde bei dem Treffen freilich auch deutlich: Während Kuleba bei einem möglichen Aus für die Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 auf einen EU-Konsens gegen Moskau hoffte, trat Schallenberg auf die Bremse: Er meldete Zweifel an, ob es sinnvoll sei, ein Projekt in den Mittelpunkt möglicher Sanktionen zu stellen, das noch nicht einmal zertifiziert sei. Man könne nicht Druck machen "mit einem Auto, das noch nicht einmal einen Motor hat", meinte er.

Dennoch wird es auf absehbare Zeit wohl keine Kniefälle Österreichs vor Moskau mehr geben. Zu sehr hat man sich damit gegenüber manchen Kreml-kritischen Ländern in der Nachbarschaft das Leben schwer gemacht. Auch Deutschland und die USA machten zur Zeit von Schwarz-Blau Druck auf Wien, bei allem Brückenbauen zum Kreml nicht gleich selbst über die Brücke zu gehen.

Amikale Atmosphäre

Derartige Bedenken waren im Westen laut geworden, weil Putin nicht nur in Gamlitz, sondern auch mehrfach in Wien zu Gast war - als guter Freund, wie die amikale Atmosphäre vermittelte. Und nicht nur zu Putin, auch zu Weißrusslands Staatschef Alexander Lukaschenko wurden eifrig Brücken gebaut. Im Jänner 2019 wurde eine Botschaft in Minsk eröffnet, im November desselben Jahres besuchte Lukaschenko Wien.

Der Versuch Österreichs, zwischen Opposition und Regierung in Minsk mittels einer Konferenz in Wien zu vermitteln, führte zwei Jahre später aber zu schweren Verstimmungen mit dem Regime in Belarus. Seither herrscht Frost. Und auch die Versuche Wiens, in Anlehnung an die neutrale Position zur Zeit des Kalten Krieges als Vermittler gegenüber Moskau aufzutreten, waren eher von Selbstüberschätzung gekennzeichnet. In dem gegenwärtigen Konflikt braucht Putin selbst Deutschland als wichtigstes Land der EU nur bedingt als Brückenbauer - am liebsten würde Russland nur mit den USA über die Ukraine verhandeln. Nützlich sind Kontakte zu Kleinstaaten wie Österreich oder Ungarn freilich dennoch, ökonomisch und politisch - schon alleine, um die EU in Verlegenheit zu bringen.