Christdemokraten beharren auf Posten des EU-Parlamentspräsidenten.
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Brüssel. Und es gibt ihn doch. Dass der Brief mit einer Vereinbarung der zwei größten Fraktionen im EU-Parlament tatsächlich existiert, hat zwar niemand wirklich angezweifelt. Doch bisher ist er der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht worden - auch wenn sich eine der Vertragsparteien in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder darauf berufen hat. Nun hat sie das Schriftstück präsentiert und damit den Druck auf die andere Seite erhöht.
Es geht um eine Absprache zwischen ihr, der Europäischen Volkspartei (EVP), und den Sozialdemokraten im EU-Abgeordnetenhaus, unterschrieben von den Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber und Martin Schulz. In zwei Sätzen wird darin fixiert, dass sich die Parteien bei der Wahl eines Parlamentspräsidenten gegenseitig unterstützen sowie die Legislaturperiode untereinander aufteilen. Der Sozialdemokrat Schulz gibt das Amt auf und wechselt in die deutsche Bundespolitik; seinen Nachfolger wählen die EU-Mandatare in der kommenden Woche bei ihrer Plenarsitzung in Straßburg.
Für Weber ist klar: Der künftige Präsident müsste aus den Reihen der EVP kommen. Zum Kandidaten dafür haben die Christdemokraten den ehemaligen italienischen EU-Kommissar Antonio Tajani gekürt.
Das hielt die Sozialdemokraten aber keineswegs davon ab, ihren eigenen Bewerber aufzustellen. Ihr Vorsitzender Gianni Pittella, ebenfalls ein Italiener, geht ins Rennen - und hat auch schon ein Zehn-Punkte-Programm vorgelegt, das er als "Primus inter pares", als Erster unter Gleichen, zu verfolgen gedenke.
Weber sieht darin den Bruch einer "glasklaren Vereinbarung", wie er in einer Pressekonferenz betonte. Pittella missachte nicht nur die Absprache, sondern auch das Ziel, das dahinter gestanden sei. Immerhin sollte auch eine "Partnerschaft gegen die Anti-Europäer in diesem Haus" geschlossen werden. Wenn diese nun Einfluss auf Personalentscheidungen nehmen, dann seien die anderen Fraktionen schuld daran, stellte der Deutsche fest.
Aus Webers Sicht trifft der Vorwurf nicht nur Pittella, der um Unterstützung in den Reihen der Linken wirbt, die ebenfalls EU-skeptische Vertreter haben. Er war auch an den Vorsitzenden der Liberalen (Alde), Guy Verhofstadt, gerichtet. Der wiederum hat mit einem Bündnis mit den Euro-Kritikern der Fünf-Sterne-Bewegung geliebäugelt. Die Gruppierung von Beppe Grillo hatte ihren Austritt aus der rechtsgerichteten Fraktion rund um den britischen EU-Gegner Nigel Farage beschlossen und wollte zu Alde wechseln. Der Vorstand der Liberalen lehnte dies jedoch ab.
Dem deklarierten Föderalisten Verhofstadt haben die Überlegungen zu einem Zusammenschluss nicht nur Kritik eingebracht. Sie könnten ebenso seine eigene Kandidatur schwächen. Denn auch die Liberalen haben - wie die anderen Fraktionen, von denen es in der EU-Volksvertretung acht gibt - ihren Bewerber um das Präsidentenamt aufgestellt. Verhofstadt galt als einziger ernst zu nehmender Konkurrent für Tajani und Pittella, doch Alde ist nur die viertgrößte Gruppierung im EU-Parlament und bräuchte massive Unterstützung aus anderen Fraktionen. Allerdings beeilten sich die Sozialdemokraten schon zu versichern, dass es keinen Deal "unter dem Tisch" mit den Liberalen gebe. Die EVP wiederum schloss eine Zusammenarbeit mit "Radikalen" aus.
Das zeigt, wie schwierig, aber auch wie fließend die Bündnisse im EU-Abgeordnetenhaus sind. Etliche Bruchstellen weist gerade die große Koalition zwischen den Christ- und den Sozialdemokraten auf, die vor allem Schulz und Weber gepflegt hatten. Es brauche sie auch gar nicht, um Stabilität im EU-Parlament zu gewährleisten, befand der Vorsitzende der SPD-Delegation in der EU-Volksvertretung, Jens Geier.
Zumindest in einem Wunsch dürften sich die beiden stärksten Gruppierungen aber einig sein: Nicht der Parlamentspräsident soll Politik betreiben. Das ist vielmehr Aufgabe der Fraktionen. Mit Schulz an der Spitze hat das nicht immer gegolten.