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Bruchpilot aus Downing Street

Von Michael Schmölzer

Politik
Setzt in den Verhandlungen mit der EU auf Härte: Premier Boris Johnson.
© reuters/Melville

Die Briten verhandeln mit der EU wieder über Handelsbeziehungen. Premier Johnson nimmt einen "No Deal" in Kauf.


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Die Brexit-Gespräche zwischen London und Brüssel gehen in die finale Phase - und Großbritannien gibt sich betont selbstbewusst. Der Austritt der Insel aus der EU ist bereits vollzogen - unklar ist, wie die künftigen Handelsbeziehungen aussehen werden.

Noch sind die Briten Teil des Binnenmarktes und der Zollunion, doch die Übergangsfrist läuft Ende des Jahres aus. Die Frage ist, ob ein Freihandelsabkommen zwischen den EU-Mitgliedsländern und dem Königreich möglich ist, oder ob es zum kompletten Bruch kommt. Dann wäre das "No-Deal"-Szenario Realität, dann würden die Regeln der Welthandelsorganisation WTO in Kraft treten. Dann gäbe es Zölle, Wartezeiten für Lkw an der Grenze und einen Papierkrieg, der den Handel kompliziert gestalten würde.

Die Verhandlungen werden am heutigen Dienstag wieder aufgenommen, und die Zeit drängt. In wenigen Wochen muss ein neuer Vertrag zwischen der EU und Brüssel her. Eine Verlängerung der Frist ist theoretisch möglich, das hat die Vergangenheit gezeigt. Der britische Premier Boris Johnson will sich darauf aber nicht einlassen: Bis spätestens 15. Oktober müsse eine Einigung auf dem Tisch liegen, sagt er, ansonsten werde es eben keinen Freihandelsvertrag geben. Dann werde man getrennte Wege gehen müssen. Den Verhandlungspartnern in der Europäischen Union richtet er vor Beginn der Gespräche aus, dass man als Brite tun werde, was man tun müsse.

"Australische Lösung"

In London wird diese Haltung unterstrichen mit der Präsentation eines Plan B: die "australische Lösung". Diese wird konkret ins Auge gefasst, wobei Tony Abott, der ehemalige australische Premier, zum Handelsberater der britischen Regierung ernannt wurde. Das sorgt vor allem im britischen Parlament für Häme, denn Australien hat keinen Handelsvertrag mit der Europäischen Union. Es gibt nur ein Rahmenabkommen, das vor allem technische Fragen betrifft. Der Handel läuft aber zum Großteil nach WTO-Regeln.

Nicht nur der britische Premier gibt sich im Angesicht der kommenden Gespräche betont unerschrocken. Chef-Unterhändler David Frost meinte, Großbritannien habe von einem No-Deal-Brexit nichts zu befürchten: "Wir werden kein abhängiger Staat werden, wir machen keine Kompromisse bei dem Grundsatz, die Kontrolle über unsere eigenen Gesetze zu haben", fasst Frost das Credo des Premiers zusammen. Die starken Sprüche sind in erster Linie innenpolitisch motiviert. Denn die britische Bevölkerung will das leidige Kapitel mehr als vier Jahre nach der Abstimmung im Juni 2016 endlich abschließen.

Von der Leyen mahnt

Allerdings sind nicht alle in der britischen Regierung überzeugt, dass ein "No Deal" gut für das Land wäre. So gibt es Stimmen, die befürchten, dass ein Scheitern der Verhandlungen ein Auseinanderbrechen Großbritanniens beschleunigen könnte.

In der Tat will Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon nach 2014 ein zweites Unabhängigkeitsreferendum auf den Weg bringen. Die Schotten sind mehrheitlich Freunde der Europäischen Union, sie wollen nicht gemeinsam mit den Engländern aus der Gemeinschaft kippen. Sturgeon kann ein Referendum allerdings nicht erzwingen, sie ist auf die Zustimmung Londons angewiesen - und die wird es unter Johnson nicht geben.

In Brüssel sorgt die abenteuerliche Linie der Briten für Kopfschütteln. EU-Chefunterhändler Michael Barnier weist auf die beträchtlichen Schwierigkeiten bei den Verhandlungen hin: Die Briten wollten in vielen Fragen dort ihr eigenes Süppchen kochen, wo das im Sinne eines fairen Handels nicht möglich sei. Schafft London EU-Regulierungen ab, genießt aber weiterhin Vorzüge des Freihandels, ist eine Kooperation ohne Nachteile für die restliche EU nicht möglich.

Nach Informationen "Financial Times" könnten sich die Briten aber schon vor Oktober aus dem Spiel nehmen. Die Zeitung berichtet, dass London am Mittwoch Gesetze verabschieden will, die Teile des Brexit-Abkommens mit der EU über Staatshilfen und Grenzregelungen mit Irland außer Kraft setzen. Das würde wohl den Abbruch der Gespräche mit Brüssel bedeuten.

In London dementiert man derartige Pläne: Man bleibe den Abmachungen verpflichtet. Zuvor hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen London dringend dazu aufgerufen, sich an die Zusagen im Brexit-Abkommen zu halten.

Lösung nicht in Sicht

Im Austrittsabkommen hat London akzeptiert, Subventionen für Unternehmen bei der EU anzumelden, sofern sie Geschäfte in Nordirland betreffen. Zudem müssen nordirische Unternehmen Exporterklärungen abgeben, wenn sie Güter aufs britische Festland bringen wollen. Ein von der britischen Regierung geplantes Binnenmarktgesetz würde sich über diese vertraglichen Zusagen hinwegsetzen, heißt es jetzt.

Sonderregeln für Nordirland werden bei Brexit-Befürwortern nicht gerne gesehen. Auch hier befürchtet man eine Abspaltung.

Ob die britische Seite ein substanzielles Abkommen mit der EU überhaupt noch ansteuert, ist Politologen unklar. Die meisten Wissenschafter sind der Ansicht, dass es noch zu früh für ein Urteil wäre. In den bisherigen Verhandlungen ist man einer Lösung jedenfalls nicht näher gekommen. Es spießt sich unter anderem in der Frage der Fischerei-Rechte.

Diplomaten sehen in der britischen Strategie jedenfalls einen Akt der Selbstzerstörung. Sie warnen, dass London dabei sei, sein internationales Ansehen und seine Paktfähigkeit komplett zu untergraben, wenn es darauf verzichte, sich an bereits geschlossene Abmachungen zu halten.