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Brückenschlag für Al Gore auf dem Weg in das Weiße Haus

Von Henriette Löwisch Washington

Politik

· In seinem eigenen Präsidentschaftswahlkampf prägte Bill Clinton vor vier Jahren das Wort vom Brückenschlag zum 21. Jahrhundert. Im Jahr 2000 angekommen, nutzte er seine letzte Rede | zur Lage der Nation, um seinem Vizepräsidenten Al Gore eine Brücke ins Weiße Haus zu bauen. Die längste Staatsansprache seit seinem Amtsantritt vor sieben Jahren stand ganz im Zeichen der Wahlen im | November und des Wachwechsels im nächsten Jänner. Doch auch Clintons Wunsch nach einem Vermächtnis jenseits aller Skandale schien in seiner stolzen Bilanz vom Donnerstagabend durch.


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Wie überzeugt Bill Clinton von seiner Leistung ist, zeigte sich schon in der Antwort, die er ganz zu Beginn der Rede auf die traditionelle Frage nach der Lage der Union gab: Anstatt nur wie

sonst zu sagen, die USA seien in starker Verfassung, erklärte er diesmal, das Land stehe besser da denn je. Zum Beweis verwies er auf die anhaltende Konjunktur, die Haushaltsüberschüsse und die

sinkende Kriminalitätsrate. Nach Auffassung seiner Gegner ist dies alles nicht sein Verdienst, doch die Mehrheit der Bevölkerung denkt anders: 65 Prozent sagten in einer neuen Umfrage, sie billigten

Clintons Arbeit und 55 Prozent sagten, dass die Richtung stimmt.

Während der Rede erwähnte Clinton seinen Vizepräsidenten Gore und dessen Frau Tipper mindestens sechsmal; auch die Leistungen von "First Lady" Hillary, die Ambitionen auf einen Senatssitz hat, strich

er heraus. Am wichtigsten war jedoch für Gore, dass der Präsident genau jene Ideen propagierte, mit denen sein Wunschnachfolger in den Wahlkampf zieht. Gemäßigte Steuersenkungen, die Ausweitung der

Krankenversicherung in Etappen, höhere Bildungsausgaben · zwischen Clintons Regierungsprogramm und Gores Wahlprogramm gibt es kaum einen Unterschied. "Bill Clinton glaubt, der beste Weg, sein eigenes

Vermächtnis zu sichern, ist mitzuhelfen, dass Al Gore die Wahl gewinnt", folgerte der Politologe Don Kettl.

In den 359 Tagen, die ihm bleiben, will Clinton den Republikanern im Kongress das Leben so schwer wie möglich machen. Schließlich schuldet er seiner Demokratischen Partei, die ihn während des

Lewinsky-Skandals unterstützt hat, Hilfe bei der Rückeroberung des Repräsentantenhauses. Die Republikaner fürchten, ihr Image als Verhinderer zu zementieren, wenn sie die Vorschläge aus dem Weißen

Haus im Wahljahr rundherum ablehnen. Der Haushaltspolitiker Pete Domenici aus dem US-Senat bedeutete seinen Kollegen deshalb hastig, aufzustehen und zu applaudieren, als Clinton ein konsensfähiges

Modell zur Rentensicherung vorschlug. Einige Kröten, wie die Forderung nach der Einführung eines Waffenscheins für Handfeuerwaffen, können die Republikaner jedoch nur schwerlich schlucken.

Nach 1998 und 1999 war es Clintons erste Rede zur Lage der Nation, die nicht von der Lewinsky-Affäre und dem daraus resultierenden Amtsenthebungsverfahren überschattet wurde. Der Präsident hofft,

dass der Skandal angesichts des erreichten Wohlstandes den Historikern nur eine Fußnote wert ist. "Er hat schon am Anfang seiner Amtszeit immer gesagt, ,Dummkopf, alles hängt von der Wirtschaft ab'",

so der Politologe James Thurber von der American University. "Jetzt ist es schon wieder die Wirtschaft, die diesen mit Glück gesegneten Mann rettet."