Der EU-Beitritt bildet heuer die zweite große Zäsur auf dem Weg einiger Länder aus dem ehemaligen kommunistischen Machtbereich nach Europa. Österreich hat auf diesem Weg als geopolitisch und historisch bedeutsamer Nachbar seit 1989 eine besondere Rolle gespielt - was zu einem guten Teil der Arbeit junger österreichischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an ausländischen Universitäten zuzuschreiben ist.
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In kaum einem Bereich war der Fall des Eisernen Vorhangs so sehr mit den Schwächen des Übergangs behaftet wie im Bildungsbereich. Zwar wurde etwa in Ungarn die Gesetzeslage zum Fremdsprachenunterricht bereits einige Jahre davor so weit liberalisiert, dass das Russische nicht mehr die obligatorische erste Fremdsprache war, doch der große Zusammenbruch erfolgte im Jahr 1989, als quasi über Nacht Deutsch und in der Folge zunehmend Englisch die vorherrschenden Fremdsprachen im Schulunterricht wurden. Darauf waren die Bildungsplaner in Ungarn nicht vorbereitet. Ein akuter Fachkräftemangel im Schul- und Hochschulbereich trat plötzlich zu Tage, der durch Entwicklungsprogramme aus dem Westen, u.a. von der Weltbank, kompensiert werden sollte. So war es ein Gebot der Stunde, muttersprachliche Fachkräfte ins Land zu holen.
Die österreichische Regierung hat - begünstigt durch die damalige Funktion Erhard Buseks als Wissenschaftsminister - umgehend auch in diesem Bereich der Hochschulbildung einige Initiativen gesetzt, um den Diskrepanzen zwischen politischer Ambition und realen Bedingungen zu begegnen und die sprachliche, kulturelle und wissenschaftliche Öffnung voranzutreiben.
Ein Netz von Lektoraten
Bereits 1989, besonders aber seit 1990 wurden - gleichsam in lockerer Eile - über 40 Lektoratsstellen an Universitäten, Fachuniversitäten und Pädagogischen Hochschulen in Ungarn eingeführt, mit beachtlicher finanzieller Unterstützung aus Österreich. Dem Rezept in Ungarn folgend, entstand in den folgenden Jahren auch in Tschechien, der Slowakei, in Slowenien und in Polen sowie in vielen anderen mittel- und osteuropäischen Ländern ein dichtes Netz von Lektoraten. Sie wurden von zumeist jungen GermanistInnen, FremdsprachenlehrerInnen und anderen GeisteswissenschaftlerInnen ausgefüllt, die sich vor dem Einstieg in das österreichische Berufsleben (insbesondere im Schuldienst) erste Unterrichts- und Berufserfahrungen holen konnten und eine Beschäftigung vorfanden, die ihrer Ausbildung entsprach und die tristen Aussichten auf dem österreichischen Arbeitsmarkt für GeisteswissenschaftlerInnen vorübergehend ausblendete.
Waren Universitätslektorate im Ausland bis 1989 vorwiegend auf den westeuropäischen Raum beschränkt, wurde durch die Öffnung Mittel-, Ost- und Südosteuropas eine neue Schwerpunktregion geschaffen: ein Netz von Wissenschaftskontakten zu annähernd 100 Universitäten wurde allein in dieser Region geknüpft. Mittlerweile hat sich die Zahl der Lektorate auf weltweit 135 Stellen eingependelt, vornehmlich in Europa, darunter sind aber weiterhin über 70 Stellen in den so genannten Reformstaaten.
"Österreich-Kooperation"
Seit 1994 wird das Lektoratsprogramm, das aus Mitteln des Bildungsministeriums gefördert wird, vom Verein Österreich-Kooperation durchgeführt, der dieses Jahr auf eine 10jährige kontinuierliche und erfolgreiche Arbeit zurückblicken kann. Neben dem Gründungszweck, der Durchführung des Lektoratsprogramms, hat der Verein seither weitere Aufgaben zur Förderung der Mobilität im Bildungsbereich wahrgenommen: Jährlich werden etwa 50 Lektorinnen und Lektoren an ausländische Universitäten vermittelt, an Schulen in Westeuropa werden in einem eigenen Programm jährlich über 200 Personen als Sprach-AssistentInnen aktiv.
Darüber hinaus organisiert das Büro Gastaufenthalte von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen u.a. aus Albanien, Bosnien und der Ukraine, auch führt es in Lemberg ein eigenes Kooperationsbüro, das sich den wissenschaftlichen, kulturellen und schulischen Kontakten speziell mit der Ukraine widmet.
Was Insidern leidlich bekannt, ist in einer breiteren Öffentlichkeit kaum präsent: im Bildungssektor gibt es Initiativen, die beweisen, dass die EU-Osterweiterung kein unvorhergesehenes Ereignis darstellt. Im Lektoratsprogramm der Österreich-Kooperation konnten seit dem Studienjahr 1993/94 fast 500 Personen an Universitäten von Albanien bis Weißrussland vermittelt werden.
Ihre Arbeit im Bereich der Sprach- und Kulturvermittlung, die unter oft entbehrungsreichen Bedingungen stattfindet, kann sich sehen lassen: Wissensvermittlung und Stiftung von Kontakten im Sinne des Austausches in Wissenschaft und Kultur, Entideologisierung des Lehrstoffes durch die Verwendung neuer Unterrichtsmaterialien und -methoden, Öffnung universitärer Sozialisation in Fachbereichen, welchen während des kommunistischen Regimes keinerlei Entwicklungschancen offenstanden - diese Stichworte geben nur ein paar allgemeine Hinweise auf ein beachtenswertes Feld des Transfers universitärer Bildung, der Wissenserweiterung und der interkulturellen Erfahrung mit einem nachhaltigen Nutzungspotenzial für viele Seiten.
Entwicklungshilfe im Dilemma
Es sollte indes nicht übersehen werden, dass den Aktivitäten, die von Österreich in dieser Region initiiert wurden, insgesamt ein defensives Image anhaftet, das für qualitative Rückstände und diskret einsetzende budgetäre Restriktionen anfällig macht. Dies lässt sich schon am vorhin zitierten strukturbedingten Fachkräftemangel ablesen. Der Ruf nach ausländischen Experten offenbart unweigerlich auch ein Dilemma, in das jede Entwicklungshilfe gerät: Er dient nämlich auch der Verschleierung hausgemachter Schwächen, hilft tradierte Verhältnisse zu bewahren und zeugt von einem diffusen Verständnis des Begriffes "nachhaltige Entwicklung".
Die Universitätsinstitute in Mittel- und Osteuropa, die traditionell weniger der Forschung als der LehrerInnenausbildung verpflichtet waren, erhoffen sich von den Gastlektoren Anschluss an reichere Ressourcen (Stipendien im Ausland und Bücher), mindestens aber die Ergänzung leerstehender Unterrichtsdeputate. Letzteres begrenzt die Nachfrage bis zu dem Zeitpunkt, da die eigenen Ressourcen ausreichen und die Anwesenheit ausländischer Fachkräfte den eigenen Nachwuchs zu blockieren droht.
Über diese Begrenzung hinaus, hängt die Aufnahmebereitschaft der Gastuniversitäten aber noch davon ab, wieviel sie jeweils an "Entwicklungshilfe" annehmen können und wollen. Offensive Hilfe kann als Bedrohung vorhandener, gewachsener Strukturen mit all ihren Schwächen empfunden werden. Daher herrscht zwischen der Unterstützung von außen und Bindung an eigene Traditionen nach wie vor eine prekäre Relation, deren Ausbalancierung nicht nur die Würze gelungener Entwicklung ist, sondern auch eventuell bestehende Vorbehalte ausräumt.
Neue Qualitäten
Aus heutiger Sicht interessiert jedoch an Austauschprogrammen und am Bildungstransfer zunehmend deren von Einzelfall zu Einzelfall variierender Effekt - nicht bloß aus legitimatorischer Sicht, sondern auch, weil von transparenten Vorgängen eine erweiterte Kenntnis des anderen zu erwarten ist. Die EU-Osterweiterung wird daher den Bedarf an Differenzierung erhöhen und damit dazu herausfordern, die bestehenden Ressourcen und Potentiale auszubauen und mit neuen Qualitäten zu erfüllen.
So wird es zunehmend fatal, bei den Bildungsprogrammen für mittel- und osteuropäische Länder von Nachbarschafts- oder Entwicklungshilfe zu sprechen, schließlich würde dies im Falle von Italien oder Spanien (um zwei weitere EU-Länder beliebig herauszugreifen) auch niemand tun. Zur Neutralisierung des Gefälles von Geber- und Nehmerschaft wird der Begriff der Partnerschaft zu überdenken sein, und die Eigeninteressen und Erfordernisse, die diese Partnerschaft zu einem positiven Begriff machen, werden offener zu verhandeln sein.
Zwei Aufgabenfelder seien hier angedeutet. Die Diskrepanz zwischen dem Image, das die EU-Beitrittsländer bei den potentiellen Lektoren und Lektorinnen haben, und andererseits der realen Arbeit, die sie in diesen Ländern leisten (können), ist nach wie vor enorm. Die Erwartungen für die alten EU-Staaten sind oft so einseitig positiv, dass sie für für die vergleichsweise anspruchsvolleren Herausforderungen in den neuen EU-Staaten blind machen. Wer ruhig abwägt, müsste einräumen, dass die Verteilung der fachlichen Gewinnchancen es eher rechtfertigt, eine Tätigkeit in Slowenien, Polen, der Slowakei oder in Tschechien anzustreben, als an einer Universität in Italien oder Frankreich zu arbeiten. Es wird leicht übersehen, dass das Image von Orten mit den Erwartungshaltungen zu tun hat, die uns zu Konsumenten, bzw. zu Akteuren machen.
Doch gilt umgekehrt auch, dass nicht nur ein Land ein Image hat, sondern dass wir selbst auch ein Image mitbringen, das uns dabei hilft, andernorts einen Ort zu schaffen. In dieser Hinsicht sind die Imagevorteile, die Österreich in den Beitrittsländern genießt, ein Kapital, das in einen Imageverlust umschlagen könnte, wenn es nicht genutzt würde.
Universitärer Transfer
Schließlich entsteht mit der Erweiterung auch eine fachliche Herausforderung für die Beitrittsländer: Vielen geisteswissenschaftlichen Nachwuchskräften sind bei der Teilnahme an der fachlichen Diskussion Grenzen gesetzt, die Ausdruck einer jahrzehntelangen Isolierung von den intellektuellen und methodischen Diskursen des Westens sind. Das zur Mobilität einladende Lektoratsprogramm wäre ein vorzügliches Instrument, universitären Transfer auch in den Dienst der Annäherung an internationale Standards zu stellen, aber auch den Austausch von national unterschiedlichen Forschungsansätzen und wissenschaftlichen Fragestellungen zu fördern.
Im Bildungsbereich gibt es also österreichische Initiativen, die belegen, dass die Erweiterung der Union nicht unvorbereitet eintritt und Ansätze einer partnerschaftlichen Entwicklung auch im unwegsamen Terrain des akademischen Arbeitskräfteverkehrs schon entwickelt sind.
Hinzu kommt, dass das Lektoratsprogramm auf einer ostentativ partnerschaftlichen Finanzierungsbasis steht und somit im Bereich des Transfers von Bildung und Kultur ein Modell darstellt. Knapp ein Drittel der Gesamtkosten des Lektoratsprogramms tragen die ausländischen Universitäten (an den westeuropäischen Universitäten mehr, an den ost- und südosteuropäischen Universitäten weniger), die anderen zwei Drittel der Gesamtkosten stellt das österreichische Bildungsministerium bereit, um die Berufsfähigkeit junger Geisteswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zu festigen und universitäre Bildung nicht brach liegen zu lassen. Die Österreich-Kooperation als Mittlerorganisation stellt diese Partnerschaft sicher, u.a. auch, indem sie für die Fachpersonen die erforderliche Vorauswahl trifft, die letztgültige Personalhoheit aber den einzelnen Gastuniversitäten überlässt.
Bei Erhaltung des Programms könnte in den kommenden zwei Jahren der 1000. Programmteilnehmer verzeichnet werden, der durch seine Unterrichtstätigkeit an einer ausländischen Universität einen wirksamen Beitrag zum positiven Image Österreichs wie der europäischen Integration leistet. Das wäre eine stolze Bilanz.
Dr. Arnulf Knafl ist in der "Österreich-Kooperation" als Programmleiter für die Auslandslektorate tätig. Informationen unter: http://www.oek.at