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Bruno Buchberger

Von Julia Rumplmayr

Reflexionen
Das Bürogebäude des IT-Centers im Softwarepark Hagenberg im Mühlviertel. Foto: Softwarepark Hagenberg

Bruno Buchberger, Gründer und Leiter des Softwareparks Hagenberg, über Zukunftsarbeit in einer Schlossruine, notwendige Studiengebühren, Englisch als Unisprache - und die Gemeinsamkeiten von Mathematik, Musik und Meditation.


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"Wiener Zeitung": Herr Professor Buchberger, vor einigen Jahren war Hagenberg noch ein verschlafener Ort mit einer Schlossruine, wieso entstand ausgerechnet hier das Silicon Valley Österreichs, wie es manche nennen? Bruno Buchberger: Das war reiner Zufall. Ganz unabhängig von Hagenberg habe ich seit 1974 eine Forschungsgruppe an der Universität Linz im Bereich der Computermathematik aufgebaut - jenen Teil, den man Symbolic Computation nennt. Darin geht es darum, dass man für bestimmte technische Probleme neue mathematische Verfahren erfindet. Wir befassen uns damit, den Prozess, wie man über Symbole neue Formeln erarbeitet, zu automatisieren - um am Schluss zu Lösungen zu kommen, die danach in der Software angewendet werden können. Alles, was Software wird, ist vorher eine Methode.

In meiner Arbeitsgruppe habe ich auch angefangen, für Firmen zu arbeiten, und wir haben einen Haufen Geld zur Verfügung gehabt, das andere nicht hatten. Wir waren auf 90 Quadratmetern untergebracht. Ich konnte innerhalb der Universität nicht wachsen, also habe ich beschlossen, dass ich von der Uni nie mehr etwas will, und mir das Geld von außen hole.

Warum sind Sie mit Ihrem Institut aber gerade an einen abgelegenen Ort ins Grüne gezogen?

Ich war auf der Suche nach Standorten. Von Hagenberg hatte ich keine Ahnung. Der ehemalige oberösterreichische Landeshauptmann Ratzenböck hat mir dann angeboten, dass er mir das Schloss Hagenberg - die "Ruine einer Ruine", wie er sagte - herrichtet, wenn ich dorthin ziehe. Ein Schutthaufen! Ich habe mir gedacht, das ist super: 800 Jahre alte Geschichte - und wir sind die Zukunft! Bei der Eröffnungsfeier hat Ratzenböck zu mir gesagt: Sie kommen hier in wirtschaftliches Krisengebiet. Außer vier Gasthäusern und einem Tischler gibt es nichts. Die Jugend ist abgezogen, die Bauern sterben aus und verdingen sich bei der Voest. Können Sie sich etwas einfallen lassen, dass hier Wirtschaft entsteht?

Ich konnte ihm zwar keine Schuhfabrik hinstellen, die den Leuten vielleicht gleich etwas gebracht hätte. Aber ich habe mich zwei Wochen hingesetzt und das Konzept für einen Softwarepark geschrieben. Das Konzept bestand aus Forschung, Ausbildung, Wirtschaft - und nach dem sind wir jetzt 20 Jahre lang vorgegangen. Mittlerweile gibt es 60 Firmen, elf Forschungsinstitute, und dann habe ich noch die Fachhochschule gegründet. Das ist wie ein Flohzirkus: Man muss dieses einfach erscheinende Vehikel mit Inhalt füllen, in vielen Sitzungen die Leute motivieren und Geld beschaffen.

Bruno Buchberger. Foto: Hermann Wakolbinger

Wie sehr kommen Sie neben dieser Managementarbeit noch zum Forschen?

Das ist natürlich meine Hauptarbeit. Aber es geht mir manchmal furchtbar ab, weil mich die hunderten Sitzungen nervös machen: mit Parteien, für ein Hotelprojekt, jetzt gerade für ein Einkaufszentrum. Wenn wir das aber nicht machen, gehen die Studenten weg. Es gibt viel zu wenige österreichische Studenten, die IT-Fachkräfte gehen zurück. Statt 120 haben wir nur mehr 80 Anfänger an der Uni. Man müsste alles auf Englisch machen, damit sich daran etwas ändert!

Im internationalen Masterprogramm sind Studenten aus Tschechien, Ägypten, China, dem Libanon usw. Ich bringe sie gleich mit Firmen zusammen. 80 Studenten habe ich in vier Jahrgängen durchgeschleust, 20 davon sind im Softwarepark geblieben, darunter auch Firmengründer.

Sie sagen, Mathematik hilft Ihnen im Management. Wie darf man sich das vorstellen?

Es gibt viele Kurzfassungen von Mathematik, eine davon ist: Mathematik ist die Kunst, wie man mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel erreicht. Das ist der Sinn der gesamten Mathematik: Über komplexe Strukturen so lange nachdenken, bis man die wenigen Schrauben findet, an denen man drehen kann, um damit das Ganze zu beherrschen. Mathematik ist sozusagen die konzentrierteste Theorie des Managements.

Wo früher Kühe weideten, gibt es nun Firmengelände und Parkplätze: Was hat sich durch den Softwarepark und die Fachhochschule in Hagenberg sonst noch infrastrukturell verändert ?

Es ging immer um die ganze Re-gion. Es ist freilich Zufall, dass das Schloss gerade in Hagenberg steht und deshalb alles mit diesem Namen verbunden ist. Wir haben 1000 Arbeitsplätze geschaffen, rund 400 der Beschäftigten leben in der Region. Viele sind hierher gezogen. Vor 20 Jahren habe ich die Einheit von Wohnen, Arbeit und Freizeit zum Ziel gehabt. Deshalb befasse ich mich auch sehr intensiv mit Infrastrukturfragen, habe gerade eine Sporthalle in Planung. Es gibt sehr viel Infrastruktur, die die Leute hier ohne Softwarepark nicht hätten - Verkehrsverbindungen, Freizeitangebote. Und den Nimbus, denn Firmen haben anderswo ein besseres Entree, wenn sie sagen, dass sie in Hagenberg sitzen.

Wie schwierig ist es, gute Köpfe im Land zu halten?

Aus Erfahrung ist es möglich, 25 Prozent hier in Hagenberg zu halten. In Wien wäre viel mehr möglich, weil es eine ganz andere Attraktivität besitzt. An der TU Wien gibt es schon seit 25 Jahren ein internationales PhD-Programm mit 15 Plätzen, wo den Studenten auch etwas gezahlt wird. Von den "Niederen" kann man kassieren, die "Höheren" muss man bezahlen, das ist eine ganz einfache volkswirtschaftliche Rechnung. Von den Massen sollte man kostendeckend kassieren, damit man in die Wenigen weiter oben mehr investieren kann - das sind einfache Prinzipien des Managements.

Bruno Buchberger. Foto: Hermann Wakolbinger

Höhere Studiengebühren stützen das System?

Vom Bachelor muss man kassieren. Es ist ja eine Katastrophe, dass man über die Deutschen jammert, die zu uns zum Medizinstudium kommen. Wenn wir Studiengebühren hätten, dürften wir sie auch von ihnen verlangen. Dann kann man immer noch den Besten Stipendien geben. Mein Vorschlag gilt für die MINT-Fächer ( Anm: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik ). Wenn man bedenkt, was Studenten in Amerika zahlen, nur weil eine Uni einen Namen hat und man nachher sagen kann, man war etwa in Emory! Wenn wir Studiengebühren kassieren würden, könnten wir uns auch die besten Professoren leisten.

Sie wären für Englisch als einheitliche Unisprache?

Ja, zumindest für die MINT-Fächer. Aber nicht in dem Sinne, dass dann jene, die nach Österreich kommen, nicht Deutsch lernen! Wie ich nach Russland gegangen bin, habe ich natürlich Russisch gelernt, damit ich die Vorträge verstehen kann.

Der neue Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle kommt wie Sie aus Tirol: Haben Sie bereits Kontakt mit ihm gehabt?

Ich habe vor seiner Ernennung gar nicht gewusst, dass es ihn gibt, denn er ist ja Altphilologe. Ministerin Beatrix Karl war einmal hier in Hagenberg - und ganz begeistert; sie hat mir noch auf dem Rückweg aus dem Auto eine SMS geschrieben: So stelle sie sich die Unis vor. Inzwischen ist sie weg und leitet das Justizressort - jetzt kommt demnächst der Töchterle und möchte auch wissen, wie das bei uns funktioniert. Also alles wieder von vorne.

Bei Ihrer Inskription haben Sie in letzter Sekunde von Biologie auf Mathematik umgeschwenkt - wieso das?

Eine ganz niedere Überlegung. Ich konnte damals nicht einschätzen, wie wichtig Biologie heute ist - damals war das eher so etwas wie Schmetterlingsammeln. Trotzdem wollte ich es studieren. Dann ist mir aber eines durch den Kopf gegangen: Wenn mich jemand fragt, was ich studiere, muss ich sagen: Biologie. Dann wird der sich denken, Schmetterlinge auswendig lernen kann jeder Trottel. Ich habe mir überlegt, bei welchem Fach die Leute nicht sagen können, dass das jeder Trottel kann - da ist mir sofort die Mathematik eingefallen. Reine Imagesache, keine hehre Überlegung. Ich habe es aber nie bereut.

Haben Sie das Gefühl, dass sich viele Studenten heute für sogenannte Modefächer entscheiden, und eben nicht für ein MINT-Fach, obwohl deren Absolventen dringend gebraucht würden?

Wie Sie sehen, war meine eigene Entscheidung ja auch nicht von der Wirtschaft oder philosophischen Überlegungen geprägt, sondern nur vom Image her. In diesem Sinn gibt es kein falsches Studium. Man kann nur Regulative installieren, damit Leute, wenn sie Staatsgeld verbrauchen, das auch wieder hereinbringen.

Wie soll das konkret gehen?

Wenn ein Studium beispielsweise 10.000 Euro kostet, dann ist es egal, wo man die auftreibt. Wenn du eine Firma findest, die meint, dass gerade du es mit deinem Marketing schaffst, dann sollen die das zahlen. Oder wenn die Eltern meinen, dass dieses Studium gut für dich ist, dann sollen sie es zahlen. Man muss nur klarmachen, dass die Kosten nicht der Steuerzahler übernimmt. Die Allgemeinbildung sollte aber gratis sein, denn sie befähigt einen, dass man sich selbständig jedes andere Wissen aneignet. Später kommt das Studium, wo Bildung ein Marktwert wird und wofür der Student zahlen sollte - und zwar kostendeckend. Er kann dann aus tausenden Gründen Unterstützung bekommen: Wenn es für die Wirtschaft wichtig ist, dann zahlt die Wirtschaft; wenn es für die Kultur wichtig ist, dann zahlt der Staat.

In Ihrem Vorschlag steuert letztlich die Wirtschaft die Wissenschaft . . .

Nicht nur die Wirtschaft, auch die Interessensgruppen. Und auch die Menschen selbst - es war ja auch nicht verboten, dass ich mir als Vollzeit-Programmierer mein Studium selbst finanziert habe. Ohne den Job hätte ich vielleicht in der gleichen Zeit zwei Dissertationen geschrieben . . .

Wir hoch ist der Frauenanteil an der Fachhochschule Hagenberg?

Wir haben am RISC-Institut und bei den Mathematik-Doktoratstudenten rund 20 Prozent Frauen, was sehr hoch ist gegenüber anderen Mathematik-Studiengängen. Beim internationalen Masterprogramm sind über 50 Prozent Frauen: die kommen aus Ägypten und anderen islamischen Ländern - interessanterweise gibt es dort viel mehr Frauen in den MINT-Fächern als Männer; übrigens auch in Rumänien und den ehemaligen kommunistischen Ländern. Bei den 16 Fachhochschulstudiengängen hängt es ganz vom Fach ab: Im Software-Engineering sind es nur zehn Prozent Frauen.

Immer wenn die Leute meinen, dass wir zu wenige IT-Kräfte haben, heißt es: Wir müssen die Frauen dazu bringen, dann haben wir doppelt so viele - das ist aber eine Milchmädchenrechnung, die nicht aufgeht. Es ist ja nicht so, dass irgendjemand etwas dagegen hätte oder man zu wenig dafür tut, dass es mehr Frauen gibt. Es werden Vorträge in Maturaklassen gehalten, Führungen gemacht, Programme erstellt - aber all das greift nicht. Man sollte es daher nicht weiter versuchen, sondern Ausländer reinholen und englischsprachige Studien anbieten.

Zuletzt hat sich im Softwarepark eine Firma für "Cloud Computing" (IT-Infrastruktur und Speicherung über ein externes Netzwerk) angesiedelt. Ist das eines der Hauptthemen in der Software-Entwicklung derzeit?

Die Themen in der Informatik sind immer Modeerscheinungen; wichtig ist, dass man bei der aktuellen sofort mit dabei ist. Wenn es in zehn Jahren keine Mode mehr ist - egal. Man muss jetzt dabei sein und das Geschäft machen. In diesem Sinne habe ich mich bemüht, dass wir so rasch wie möglich beim Cloud Computing dabei sind und hier einen Schwerpunkt setzen: mit einer Gründerfirma, die Cloud Computing macht, einem Christian-Doppler-Labor und der Hagenberg Cloud Computing Association, in welcher mehrere Firmen aus ganz Österreich dabei sind. Wir wollen eine kritische Masse schaffen, sodass man das Thema in der Öffentlichkeit präsenter macht.

Ein ungelöstes Problem ist dabei aber noch das Thema Datensicherheit . . .

Wie bei jeder Technologie gibt es auch hier Probleme, deshalb macht man Forschung, um diese Probleme zu beseitigen. Die Wirtschaft ist dazu da, diese Nachteile zu identifizieren. Der, der sie schneller lösen kann, macht das Geschäft. Die Sicherheitsfrage beim Cloud Computing ist eine der ganz wichtigen Fragen heute - in unserem Forschungslabor befassen wir uns daher sehr genau mit Methoden zur Verbesserung der Sicherheit.

Sie sind auch Musiker, haben eine eigene Jazzband, in der Sie Klarinette spielen. Ist die Musik für Sie auch eine mathematische Sprache?

Strukturell sind Kunst und Wissenschaft verwandt. Der Prozess der Erfindung ist derselbe. In der Wissenschaft gibt es gewisse Maßstäbe, die objektivierbarer sind. In der Kunst ist der Qualitätsmaßstab schwerer greifbar. Gerade etwas, das nach herkömmlichen Gesichtspunkten überhaupt keine Kunst ist, kann sich leicht selbst dazu überhöhen. In den MINT-Fächern sind die Maßstäbe klarer: Ein neues Verfahren muss schneller arbeiten als das alte. Der Erfindungsprozess ist aber der gleiche, und es ist deshalb kein Wunder oder Zufall, dass Wissenschafter oft auch in der Musik tätig sind.

Sie meditieren zweimal täglich 40 Minuten. Ist das nicht ein krasser Gegensatz zu Wissenschaft und Ratio?

Genauso gut kann man es umgekehrt sehen. In diesen harten Fächern, wo das Denken im Vordergrund steht, verfeinert es sich insofern, als man von einem Gedanken zum nächsten kommt. Man bleibt aber immer auf der Ebene des Denkens.

Das Meditieren ist insofern das Gegenteil, weil es dem Bewusstsein die Möglichkeit gibt, zumindest kurzfristig nicht zu denken. Und wenn dann die Gedankenaktivität immer weniger und weniger wird, kann man erforschen, was übrig bleibt. Die Erfahrung zeigt: Wenn das Denken nicht mehr da ist, bleibt nicht nichts - sondern alles.

"Bildung ist ein Marktwert, wofür Studenten zahlen sollten - und zwar kostendeckend": Bruno Buchberger im Gespräch mit "Wiener Zeitung"-Mitarbeiterin Julia Rumplmayr. Foto: Hermann Wakolbinger

Zur PersonBruno Buchberger wurde am 22. Oktober 1942 in Innsbruck geboren. In der Warteschlange zur Inskrip-tion an der Universität Innsbruck entschied er sich spontan für das Studium der Mathematik. Mit seiner Dissertation löste er ein 60 Jahre ungelöstes mathematisches Problem und formulierte eine Theorie zum Lösen sogenannter "nicht linearer Gleichungen", mit der zahlreiche Probleme der Computer-Algebra gelöst werden können. Zu den nach seinem Doktorvater benannten "Gröbner-Basen" existieren mittlerweile hunderte wissenschaftliche Arbeiten.

Seit 1974 ist Buchberger Professor an der Universität Linz, wo er 1987 das Forschungsinstitut für Symbolisches Rechnen (RISC) gründete. 1990 übersiedelte er mit diesem Institut in die 25 Kilometer von Linz entfernte Abwanderungsgemeinde Hagenberg im Mühlviertel. Rund um das alte Schloss entstand in den folgenden Jahren der Softwarepark Hagenberg, den Buchberger als Ort der Zusammenarbeit von Grundlagenforschung, Wirtschaft und Lehre konzipiert hat und bis heute leitet. Derzeit sind im Softwarepark 60 Unternehmen und Institute mit 1000 Mitarbeitern beheimatet. In der von Buchberger initiierten Fachhochschule Hagenberg studieren 1500 Studenten. 2007 entstand die International School for Informatics Hagenberg mit Master- und PhD-Studien. Der Vater von vier Kindern lebt in Hagenberg und ist begeisterter Jazzmusiker.

Weitere Informationen: www.softwarepark.at

Julia Rumplmayr, geboren 1979 in Wien, lebt als freie Journalistin in Linz.