EU-Kommissar Siim Kallas will überwachbare Kriterien. | Brüssel. Kaum jemand kann sich unter Lobbying etwas vorstellen. In Brüssel umfasst der Begriff sämtliche Tätigkeiten, die die Politik und den Entscheidungsprozess der EU-Institutionen beeinflussen.
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Um die 15.000 Menschen machen das dort hauptberuflich. Sie arbeiten für Gewerkschaften, Umweltschutzorganisationen, Branchenverbände, Industrieverbände, internationale Anwaltskanzleien, Vertretungen größerer bis sehr großer Firmen und vermehrt in auf Lobbying spezialisierten Agenturen.
Dieser Aufwand ist nicht weiter verwunderlich. Schließlich werden 60 bis 80 Prozent der in Europa gültigen Gesetze längst in der belgischen Hauptstadt beschlossen und nicht mehr in den Mitgliedsstaaten.
Mehr Transparenz.
Der lettische EU-Kommissar Siim Kallas will jetzt klarer machen, welche Lobbyisten wie viel Einfluss auf die Entstehung von EU-Gesetzen haben und den boomenden Sektor übersichtlicher gestalten. Das sind Ziele der "Europäischen Tranparenz-Initiative", die er heute, Mittwoch, mit einem Diskussionspapier auf den Weg bringt. Ein freiwilliges Register und einen gemeinsamen Verhaltenskodex für die Interessensvertreter regt die Kommission an. "Lobbying ist ein legitimer Teil des demokratischen Systems", heißt es in dem der "Wiener Zeitung" vorliegenden Entwurf. Wenn Interessensvertreter aber "zur Entwicklung der EU-Politik beitragen, muss der Öffentlichkeit klar sein, welchen Beitrag sie leisten, wen sie vertreten, was ihr Auftrag ist und wie sie finanziert werden".
Nur geschätzte 500 bis 1000 der Brüsseler Interessensvertreter haben sich bisher einem freiwilligen Verhaltenskodex unterworfen. Eingetragen sind beim EU-Parlament an die 5000 Lobbyisten mit Namen und Arbeitgeber. Sie erhalten seit 1997 einen Jahresausweis, mit dem sie alle öffentlich zugänglichen Sitzungen der Abgeordneten besuchen dürfen. Auch die Kommission hat ein freiwilliges Register mit dem Namen CONECCS (Consultation, European Commission and Civil Society).
Das jetzt ausgeweitet werden soll. Als Zuckerl für die Teilnahme will die Kommission alle eingetragenen Interessensvertreter automatisch von allen für sie relevanten EU-Initiativen informieren. Dafür sollen sich die Lobbyisten wenigstens an Mindestanforderungen halten müssen: Sie sollten "ehrlich handeln" und immer "angeben, welches Interesse sie repräsentieren", "keine irreführenden Informationen verbreiten" und "keine Form von Anreizen anbieten, um Informationen zu erhalten". Die Einhaltung dieser Kriterien müsste überwacht und sanktioniert werden, schlägt die Kommission vor. Damit geht Kallas hinter seine ersten Ideen vom Herbst zurück, als er noch die verpflichtende Registrierung anregen wollte.
Aber strenge Regeln für Lobbying oder gar darauf zugeschnittene Gesetze gibt es in ganz Europa nicht. Im deutschen Bundestag müssen sich Interessensvertretungen zumindest eintragen lassen. In Österreich gibt es lediglich Unvereinbarkeitsregeln für Regierungsmitglieder, Bürgermeister und Mandatare. Lobbying hat sich hierzulande erst in den letzten Jahren etabliert. "Der Einfluss der gesetzlichen Interessenvertretungen geht zurück, die Unternehmen kümmern sich zunehmend selbst um ihre Interessen", erläutert der Wiener Lobbyist Feri Thierry.
Tradition hat das Geschäft dagegen in den USA. Lobbyisten müssen sich registrieren lassen, ihre Auftraggeber und ihr Honorar offen legen. Liefern sie dem Kongress nicht alle sechs Monate einen detaillierten Bericht darüber ab, an welchen Gesetzen sie gearbeitet und welche Ministerien sie lobbyiert haben, drohen bis zu fünf Jahre Haft.