EU-Kommission prüft Konsequenzen für Schweizer Votum zur Zuwanderung.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Brüssel. Auch Abwarten kann politische Brisanz haben. So will sich die EU-Kommission zunächst einmal auf keine scharfe Reaktion auf das Schweizer Votum zur Einwanderung festlegen lassen. Es gelte noch die Folgen der Abstimmung über eine Begrenzung der Migration zu analysieren. Doch warten müssen damit auch anstehende Verhandlungen in einem anderen Bereich: im Energiesektor. "Technisch" gebe es derzeit keine Gespräche darüber, hieß es aus der Kommission. Die Schweiz wünscht sich Zugang zum europäischen Strommarkt; die Union macht das aber von einem Rahmenabkommen über die institutionelle Zusammenarbeit abhängig, das die bereits bestehenden Verträge ergänzen würde.
Diese Verknüpfung war zwar schon seit langem klar, doch wird die Situation nach dem knappen Ja zur Einschränkung des Zuzugs von Ausländern noch komplizierter. Denn die Personen-Freizügigkeit ist eines der Grundrechte der EU, das die Schweiz zuvor anerkannt hatte. Nimmt Bern dies aber zurück, gefährdet es auch andere Vereinbarungen mit der Union. Wie es damit umgeht, wird sich in den kommenden drei Jahren zeigen, in denen der Volksentscheid umzusetzen ist.
Finanzielle Konsequenzen könnte es allerdings schon früher geben. Der Schweiz könnte nämlich Geld aus EU-Fördertöpfen entgehen, die für Forschungs- und Bildungsprogramme wie "Erasmus" vorgesehen sind. Denn die Teilnahme an diesen ist mit der Ausweitung der Freizügigkeit auf das jüngste EU-Mitglied Kroatien verbunden. Ob die Schweizer Regierung das entsprechende Dokument wie geplant in Kraft treten lässt, ist nun ungewiss.
Während etliche EU-Politiker ihren Unmut über das Ergebnis der Abstimmung in der Schweiz zum Ausdruck gebracht haben, gibt es in Europa ebenfalls Gruppierungen, die von Vorbildwirkung sprechen. So hat sich die rechtspopulistische Fortschrittspartei in Norwegen ebenfalls für ein Referendum zur Einwanderung ausgesprochen. Das Land gehört zwar nicht der Union an, ist aber - wie die Schweiz - beispielsweise Mitglied des Schengen-Raums, in dem Reisen ohne Grenzkontrollen möglich ist.
Doch auch in der EU selbst gibt es immer wieder Debatten über Begrenzungen der Niederlassungsfreiheit. In Deutschland und Großbritannien drehen sie sich unter anderem um möglichen Missbrauch der Sozial- oder Arbeitslosenhilfe durch Bürger anderer Mitgliedstaaten. Daran ändern auch Statistiken kaum etwas, die belegen, dass Migranten mehr in die Sozialsysteme einzahlen, als sie daraus erhalten.
Profit aus der Migration
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine aktuelle Studie, die die EU-Kommission in Auftrag gegeben hat. Darin werden die Auswirkungen der Freizügigkeit von Unionsbürgern auf sechs Städte untersucht: Barcelona, Dublin, Hamburg, Lille, Prag und Turin. Diese profitieren vom Zuzug: In Turin etwa übersteigen die Einnahmen - aus Steuern oder Sozialbeiträgen der Migranten, die überwiegend aus Rumänien kommen - die Ausgaben für Gesundheit oder soziale Unterstützung um 1,5 Milliarden Euro.
Doch zeigt die Untersuchung auch andere positive Folgen für die Wirtschaft auf. So würde die Zuwanderung meist jüngerer Unionsbürger dazu beitragen, die "demografische Herausforderung einer alternden Bevölkerung und der sinkenden Zahl an Arbeitskräften zu bewältigen". Zudem würden bestehende Lücken auf dem Arbeitsmarkt gefüllt. Das betrifft nicht nur Jobs ohne besondere Qualifikation, sondern auch Sektoren wie Informations- und Kommunikationstechnologien. Jedoch sind Bürger anderer EU-Staaten öfter überqualifiziert als Einheimische. Diese Vergeudung der Fähigkeiten könnte laut der Studie die Vorteile der Mobilität in der EU abschwächen.