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Brüssel sieht Sozialpartnerschaft durch Wirtschaftskrise in Gefahr

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

EU-Kommissar Andor fordert stärkeren sozialen Dialog in Mittel- und Osteuropa.


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Brüssel. Für Europa sei sie so "grundlegend wie die DNA" für einen Organismus. Doch was die EU-Kommission derart pathetisch bezeichnet, ist in wirtschaftlichen Krisenzeiten zunehmend geschwächt: die Sozialpartnerschaft. Der Dialog zwischen Arbeitgebern und -nehmern sowie Regierungen stehe vor dem Hintergrund einer schwachen Nachfrage, von Steuererhöhungen und staatlichen Ausgabenkürzungen unter Druck, heißt es in einem entsprechenden Bericht der Brüsseler Behörde.

Dabei würde die Einbeziehung der Sozialpartner in Arbeitsmarktreformen etwa nicht nur deren gesellschaftliche Akzeptanz erhöhen, sondern auch die "wirtschaftliche Widerstandskraft" Europas stärken, unterstreicht die Kommission. Doch werde dieser soziale Dialog nicht überall intensiv geführt, bedauert der für Beschäftigung und Soziales zuständige Kommissar Laszlo Andor. Das liegt am unterschiedlichen Grad der Organisation: Während nämlich in den älteren Mitgliedstaaten an die 70 Prozent der Angestellten von Kollektivverhandlungen profitieren, umfassen diese in den Ländern Mittel- und Osteuropas lediglich 44 Prozent der Arbeitnehmer. Und während im Westen rund zwei Drittel der Arbeitgeber in Verbänden organisiert sind, sind es bei den jüngeren EU-Mitgliedern weniger als 40 Prozent.

Österreich Spitzenreiter bei Beteiligung der Arbeitgeber

Österreich mit seiner ausgeprägten Sozialpartnerschaft belegt dabei gleich in mehreren Punkten einen Spitzenplatz. In keinem anderen Land wurden etwa in den Jahren 2007 bis 2009 so viele Verhandlungen kollektiv geführt wie da. Ebenso war die Beteiligung der Arbeitgeberverbände am höchsten. Umgekehrt ist aber die Zahl der Mitgliedschaften bei Gewerkschaften zurückgegangen.

Bei der Lohnentwicklung wiederum zeigt sich in Österreich wie in Deutschland ein anderes Bild als im Rest der EU. In den beiden Ländern sind die tatsächlichen Gehälter nämlich in den 2000er Jahren bis 2010 weniger stark gestiegen, als es dem Ergebnis der jeweiligen Kollektivverhandlungen entsprochen hätte. In anderen Staaten war die Dynamik eine umgekehrte.

Kollektivverträge hemmen Entwicklung nicht

Die Annahme, dass solche kollektiven Vereinbarungen die wirtschaftliche Entwicklung hemmen könnten, weist die EU-Kommission zurück. Ebenso wenig sieht Andor aber auch einen Zusammenhang zwischen der Stärke der Sozialpartner und Mindestlöhnen. Diese gibt es zum Beispiel weder in Österreich noch in Deutschland - weil eben ein Großteil der Gehälter durch Kollektivverhandlungen gestaltet wird. Dennoch ist der Kommissar ein Befürworter europäischer Mindestlöhne. Durchsetzen kann die Behörde so eine Vorgabe freilich nicht, weil die Staaten ihre Arbeitsmärkte allein regeln wollen.