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Brüssel will Banken zur Kassa bitten

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Haftung bis 100.000 Euro pro Bankkunde. | Notfallfonds über 150 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020. | Rücklagenhöhe nach Risikoprofil gestaffelt. | Brüssel. Für die Konsumenten soll der Finanzsektor wieder vertrauenswürdiger werden, Banken sollen dafür milliardenschwere Rücklagen bilden. Diese sollen in Einlagensicherungssystemen zusammengefasst und - miteinander vernetzt - von einer EU-Stelle koordiniert werden. | Reform der Einlagensicherung könnte Austro-Banken 300 Millionen kosten


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Denn Binnenmarktkommissar Michel Barnier will eine EU-weit einheitliche Haftungssumme von bis zu 100.000 Euro pro Einlage eines Kunden bei einem Institut auf Dauer einführen. Damit seien 95 Prozent aller Bankguthaben in der EU abgedeckt.

Außerdem soll das Geld im Fall des Falles viel schneller - nämlich innerhalb einer Woche - ausgezahlt werden. Eine erste Verbesserung gäbe es nach geltendem EU-Recht bereits Ende des Jahres, wenn die Auszahlungsfrist auf vier bis sechs Wochen begrenzt würde. Derzeit müssen die Kunden von abgestürzten Geldinstituten oft monatelang warten.

Aufbau von Rücklagen

Damit die neuen Anforderungen auch tatsächlich umgesetzt werden können, schlägt Barnier vor, für 75 Prozent der Haftungssumme über die nächsten zehn Jahre gigantische Rücklagen in der Größenordnung von 1,5 Prozent aller erstattungspflichtigen Einlagen aufzubauen. So sollen die Nottöpfe für die gesicherte Auszahlung von Sparguthaben von rund 19 Milliarden Euro im Jahr 2008 auf fast 150 Milliarden Euro 2020 anwachsen.

Dieser angepeilte Wert beziehe sich auf die derzeitigen Einlagen und könne durch die Inflation noch höher werden, sagte ein Experte der EU-Kommission.

Die Rücklagen sollen aber nicht für jede Bank genau 1,5 Prozent betragen, sondern entsprechend des Risikoprofils zwischen 75 und 200 Prozent des Basiswerts. So könnten etwa Sparkassen oder Genossenschaftsbanken, die Notfallfonds für die allfällige gegenseitige Unterstützung führen, als sicherer eingestuft werden, hieß es in Kommissionskreisen. Ein Ersatz für die neue Rücklagenverpflichtung seien die bereits bestehenden Fonds allerdings nicht, weil sie nicht in erster Linie für die Einlagensicherung vorgesehen sind, sondern für die Behebung allgemeiner Liquiditätsprobleme.

Mit maximal noch einmal 0,5 Prozent der Gesamteinlagen sollen Banken im Anlassfall zur Kassa gebeten werden, wenn eine von ihnen pleitegeht. Das ergebe 2020 EU-weit eine Haftungssumme für Bankguthaben von knapp 200 Milliarden Euro gegenüber 23 Milliarden im Jahr 2008.

Der eine hilft dem anderen

Sollten die jeweiligen Rücklagen in einem Mitgliedstaat nicht ausreichen, könnten noch einmal 0,5 Prozent der Einlagen aus den Rücklagen eines anderen EU-Landes ausgeborgt werden. Unter Ausnützung dieser drei Schritte sollten die Einlagen bis zu 100.000 Euro bei jeder mittelgroßen Bankpleite abgedeckt sein, meinte ein Experte der EU-Kommission.

Nur in Ausnahmefällen wie bei einem Erbe oder bei Erlösen aus Immobilienverkäufen soll es jeweils zwölf Monate lang volle Haftung für die neue Einlage geben. Ein Beispiel: Erbt jemand eine Million Euro und zahlt sie auf ein Sparkonto ein, bekommt er im Fall der Pleite des Geldinstituts innerhalb des ersten Jahres genau diesen Betrag erstattet.

Die neue Einlagensicherung soll künftig neben Konsumenten auch Klein- und Mittelbetriebe und Guthaben in allen Währungen umfassen.

Lehren aus dem Fall Madoff

In Österreich gilt seit Jahresbeginn bereits eine Haftungssumme von 100.000 Euro pro Bankkunden. Das Land habe diesen Teil der Barnier-Vorschläge daher bereits umgesetzt, sagte Finanzminister Josef Pröll. Weniger Freude dürfte er indes mit dem Aufbau der milliardenschweren Rücklagen für die Einlagenerstattung bei Bankpleiten haben.

Erhöhen will EU-Kommissar Barnier darüber hinaus auch Entschädigungen für Anleger, die ihr Geld einer Investmentgesellschaft zur Verfügung stellen. 50.000 statt 20.000 Euro Schadenersatz sind geplant, wenn die Fondsgesellschaft wegen Betruges, unzulässiger Praktiken oder operativer Fehler nicht mehr in der Lage sein sollte, die Einzahlungsbeträge ihrer Kunden zurückzubezahlen.

"Wir möchten nicht auf neue Madoff-Fälle warten, um die Anleger besser zu schützen", sagte Barnier mit Blick auf das Beispiel des US-Milliardenbetrügers Bernard Madoff.

Österreichs Einlagensicherung

(kle) In Sachen Schutz von Spar- und Girokonto-Guthaben hat Österreich im Gegensatz zu vielen anderen EU-Ländern bisher keine Fondslösung. Stattdessen besteht bei der österreichischen Einlagensicherung seit jeher ein Schutzschirm in Form von Haftungszusagen.

Erst im Fall einer Pleite wird Geld locker gemacht, wobei der jeweilige Sektor, zu dem die zusammengebrochene Bank gehört, für die dortigen Spareinlagen geradesteht. Für den Pleitefall garantieren hierzulande insgesamt fünf Sektoren: der Sektor der Banken & Bankiers, der Raiffeisensektor, der Sparkassensektor, der Volksbankensektor und der Hypothekenbankensektor.

Jedes Institut mit Hauptsitz in Österreich muss daher einem dieser fünf Sektoren angehören. Das hiesige System der Einlagensicherung ist historisch gewachsen.

Bisher ist die Einlagensicherung (konkret die der Banken & Bankiers) in vier Fällen aktiv geworden: zunächst bei der Insolvenz der BHI 1995, dann bei der Pleite der Diskont Bank und der Riegerbank 1998 und schließlich beim Zusammenbruch der Trigonbank 2001. In diesen vier Fällen musste die Einlagensicherung einen Betrag von insgesamt 140 Millionen Euro aufbringen.

Seit 1. Jänner 2010 sind Einlagen natürlicher Personen pro Institut mit bis zu 100.000 Euro gesichert. Davor hatte der Staat diese nach dem weltweiten Finanz-Tsunami (infolge des Lehman-Crashs im Herbst 2008) für mehr als ein Jahr im Gleichschritt mit Deutschland in unlimitierter Höhe garantiert. Vor dem 1. Oktober 2008, als diese unbegrenzte Garantie rückwirkend in Kraft getreten war, waren Einlagen mit jeweils maximal 20.000 Euro besichert.