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Brüssel zeichnete zu rosiges Bild

Von Hermann Sileitsch

Politik

Wachstumsprognosen der Kommission für 2012 und 2013 lagen weit daneben.


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Brüssel. Momentan ist die Lage leider noch schlecht, aber in etwa einem halben Jahr sollte es aufwärts gehen. Viele Beobachter beschleicht mittlerweile das Gefühl, dass EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn diese Prognose alle paar Monate wiederholt. Dass dieser Eindruck nicht ganz falsch ist, zeigt der Vergleich früherer EU-Vorhersagen (siehe Grafik oben): Für 2010, das Jahr, in dem sich Europas Wirtschaft vom massiven Kriseneinbruch 2009 erfing, hatte die EU-Kommission den Aufschwung anfangs sogar unterschätzt. Für 2011 schaffte sie nahezu eine Punktlandung.

Seit 2012 liegt Brüssel aber mit seinen Prognosen massiv daneben. Diese fallen viel zu optimistisch aus - und müssen im Halbjahrestakt nach unten revidiert werden: So hätte die Kommission im Mai 2011 noch erwartet, dass die Wirtschaftsleistung der Eurozone 2012 um 1,8 Prozent zulegt. Die jüngste Schätzung liegt bei -0,6 Prozent. Für 2013 wiederholt sich das Spiel: Im November 2011 wurde ein Plus von 1,3 Prozent prophezeit. Jetzt wird von -0,4 Prozent ausgegangen.

Fazit: Der von Rehn in Aussicht gestellte Aufschwung war bisher nicht viel mehr als ein Silberstreif am fernen Horizont.

Kein Wunder, dass die jüngste EU-Frühlingsprognose von Freitag auf Skepsis stößt: Einmal mehr versprach der Finne eine langsame Erholung aus der Rezession. Im ersten Halbjahr 2013 soll sich die Lage "stabilisieren", im zweiten Halbjahr soll es leicht aufwärts gehen. Dennoch dürften die Währungsunion (-0,4 Prozent) und die gesamte EU (-0,1 Prozent) dieses Jahr erneut mit einem schrumpfenden Output beenden. Erst 2014 soll das Wirtschaftswachstum an Fahrt zulegen.

Kritiker sehen sich darin bestärkt, dass die Sparpolitik der EU-Kommission nirgendwo hin führe: "Wie viele Beweise mehr brauchen sie noch, dass diese Austerität Europas Wirtschaft umbringt?", fragt sich der Chef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Hannes Swoboda. Die EU-Wirtschaftspolitik müsse komplett überdacht werden, die "neoliberale Ideologie" ein Ende haben. Was die Menschen am allermeisten bräuchten, seien Jobs.

Unerträglich viele Griechen und Spanier ohne Arbeit

In Spanien und Griechenland beträgt die Arbeitslosenquote schon 27 Prozent - das sei "unerträglich", sagt auch Rehn. Es müsse "alles getan werden, um diese Krise zu überwinden." Auf kurze Sicht macht er allerdings wenig Hoffnung auf Besserung: Der Arbeitsmarkt reagiere erst mit Verzögerung auf bessere Wirtschaftsdaten. Österreich erwähnt der Kommissar lobend als das Land mit der EU-weit geringsten Arbeitslosenrate (4,7 Prozent).

An ihrer Politik - laut Rehn eine "Mischung aus nachhaltigem Wachstum und dem Schaffen von Jobs" - will die EU-Kommission festhalten. Somit werde auch die fiskale Konsolidierung fortgesetzt, wenngleich mit geringerer Geschwindigkeit. Hierbei gibt es Fortschritte: Dank der Reformen sei die Neuverschuldung der EU-Staaten zwischen 2012 und 2013 von -4,0 Prozent auf -3,4 Prozent gesunken. Für 2014 wird ein Wert von -3,2 Prozent angestrebt.

Pariser Wachstumsprognose ist "viel zu optimistisch"

Immerhin zeigt sich die Kommission flexibel, was die zeitlichen Vorgaben für die Budgetkonsolidierung betrifft. Konkret werden Frankreich und Spanien jeweils zwei Jahre mehr eingeräumt, um ihre Sparvorgaben zu erreichen.

Allerdings gibt Rehn Frankreichs Präsidenten François Hollande - wenige Tage vor dessen einjährigem Regierungsjubiläum am Montag - auch eine Mahnung mit auf den Weg. Die Wachstumszahlen, mit denen Paris operiere, seien "viel zu optimistisch". Und das aus dem Munde des Kommissars, der selbst allzu oft ein zu rosiges Bild gezeichnet hat. Die Niederlande, die wegen der Verstaatlichung der Pleitebank SNS Reaal vom Budgetpfad abgekommen sind, erhalten ein Jahr mehr Zeit und sollen 2014 unter die Drei-Prozent-Defizitgrenze kommen.

Gewissermaßen unter Beobachtung sind Slowenien und Polen: Beide Länder verfehlen die Vorgaben; es werde überlegt, die Fristen zu verlängern. Allerdings will die Kommission von Slowenien Strukturreformen sehen - und in Polen, das bisher weitgehend unbeschadet durch die Krise gekommen war, müsse die "wirtschaftliche Entwicklung" noch genauer geprüft werden.

Ausufernde Schulden bei Belgien und Großbritannien

Gute Nachrichten gibt es für Lettland, Rumänien und Litauen: Diese drei Länder dürfen damit rechnen, dass ihr Verfahren wegen Defizitüberschreitung beendet wird. Berechtigte Hoffnungen dürfen sich darauf auch Ungarn und Italien machen, wenn sie weiter einen stabilen Budgetkurs verfolgen. Allerdings will Rehn erst noch die geplanten Wirtschaftsprogramme von Italiens neuem Ministerpräsidenten Enrico Letta vorgelegt bekommen.

Bei den großen Sorgenkindern der Eurozone gibt es Tendenzen einer leichten Erholung. 2014 sollen Griechenland, Spanien und Portugal endlich wieder auf den Wachstumspfad zurückkehren. Dramatisch ist hingegen der Einbruch der Wirtschaftsleistung in Zypern: Dort wird das Bruttoinlandsprodukt heuer voraussichtlich um 8,7 Prozent und 2014 um 3,9 Prozent schrumpfen.

Sorgenfalten bereiten zudem die Schuldenberge zweier Länder, die bisher kaum im Fokus waren: Großbritanniens Staatsschulden nähern sich 2014 der Marke von 100 Prozent der Wirtschaftsleistung, während sie in Belgien sogar 102,1 Prozent erreichen. Rehn rief beide Länder auf, ihre Finanzen nachhaltig zu gestalten.

Österreichs Wirtschaft erholt sich recht "zögerlich"

Österreichs Wirtschaft erhole sich "ziemlich zögerlich", heißt es im Bericht. 2012 habe die Nachfrage gelitten, zu Jahresende war die Wirtschaftsleistung sogar leicht zurückgegangen. Bis Oktober hatte sich die Stimmung bei Unternehmen und Verbrauchern merklich verschlechtert. Seitdem sei die Gesamtstimmung wieder etwas besser geworden. Als positiv wertet die Kommission, dass die Unternehmen einiges angespart haben, sodass sie in keine Finanznöte geraten sollten.

Die Arbeitslosigkeit werde 2013 und 2014 noch steigen, vor allem weil mehr Menschen Beschäftigung suchen. Heuer soll Österreichs Wirtschaftsleistung nur um 0,6 Prozent wachsen. 2014, wo es in fast allen EU-Ländern wieder bergauf gehen soll, wird Österreich ein Wachstum von 1,8 Prozent vorhergesagt.