Aufmarschgebiet der Vertragsgegner. | Ein Nein wäre Katastrophe für EU. | Brüssel. Die EU kann nichts mehr tun: Donnerstag nächster Woche entscheidet Irland bei der Abstimmung über den Reformvertrag auch über ihre Zukunft. Eine dritte Niederlage, nach den Referenden in Frankreich und den Niederlanden über den Verfassungsvertrag vor drei Jahren, stürze die EU in eine existenzielle Krise, meint Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso. Über die Folgen will noch keiner reden, die Union verharrt in gespannter Lähmung. Sie will die Iren nicht zu reizen, die als einzige ein Referendum über den Lissabonner Vertrag abhalten.
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Denn die irischen Signale vor dem 12. Juni sind auch für Politprofis nicht klar zu deuten: Politiker und Diplomaten geben sich zwar betont zuversichtlich - wie sehr sie von Zweckoptimismus getrieben werden, ist aber schwer zu beurteilen. "Irland wird nicht danebengehen", sagte etwa ein hochrangiger Diplomat. Beim EU-Gipfel später im Monat werde der neue irische Premier Brian Cowen das Problem haben, dass ihm "die Hand vom Händeschütteln wehtun" werde - wegen der vielen Gratulationen. Der irische Europaminister Dick Roche erklärte in einem Interview mit der deutschen "Welt": Die Buchmacher rechneten mit einem "Ja". So müsste man im Wettbüro 800 Euro einsetzen, um nach dem Referendum mit 100 Euro mehr nach Hause zu gehen. Das sei keine gute Quote.
Die gilt aber offenbar nicht landesweit: Der Online-Wettgigant Paddy Power sieht "Nein" mit 5:2 bereits wesentlich wahrscheinlicher als "Ja" mit 1:4. Und Irland gilt als Aufmarschgebiet der Vertragsgegner aus ganz Europa. Entsprechend zeigt sich der erfahrene Außenpolitik-Experte Elmar Brok "sehr skeptisch" über den positiven Ausgang. Der CDU-Europaabgeordnete meint, die "Nein"-Kampagne arbeite mit unlauteren Mitteln - ja "Lügen": So werde im streng katholischen Irland verbreitet, der Reformvertrag erleichtere Prostitution und Abtreibung. Ein Ein-Kind-System wie in der Volksrepublik China strebe die EU an, verzapften die Vertragsgegner bar jeder Grundlage.
Nein bekommt Zulauf
Darüber hinaus verlangen die irischen Farmerverbände von der Regierung im Gegenzug für die Unterstützung beim Reformvertrag vergeblich ein Veto bei den WTO-Verhandlungen. Die Bauern fürchten den Fall von Schutzzöllen für Agrarprodukte. Der hunderte Millionen Euro schwere irische Telekomunternehmer Declan Ganley wirft unfassbare Geldbeträge gegen den Lissabonner Vertrag in die Schlacht. Da wird die linksnationalistische Sinn Fein, die als einzige politische Partei gegen die Reform eintritt, zur Randerscheinung der "Nein"-Bewegung.
Und obwohl die irische Regierung und fast alle Oppositionsparteien für das "Ja" in den Ring gestiegen sind, schrumpft ihr Vorsprung. Je nach Umfrage sind die "Nein"-Sager auf zehn bis 15 Prozent herangekommen, rund ein Drittel ist immer noch unentschieden. Befürchtet wird darüber hinaus eine niedrige Wahlbeteiligung, welche sich ebenfalls negativ auswirken würde - die Befürworter sind gemeinhin weniger motiviert.
Dabei hat Irland wie kaum ein anderes Land von seinem EU-Beitritt profitiert. Rund 40 Milliarden Euro hat die Union in den beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung gesteckt. Doch der Schrecken von Nizza sitzt in Brüssel tief. Und diesmal könnte das "Nein" endgültig sein, mehr als sechs Jahre unendlich mühsamer Verhandlungen wären umsonst gewesen.
Schon müssen heikle Dossiers warten: Über die Umstrukturierung des EU-Budgets soll nicht vor dem 15. Juni gesprochen werden und Vorschläge für die Neuregelung von Gesundheitsdienstleistungen lassen seit Monaten auf sich warten. Denn Plan B gibt es keinen. Dieser laufe bereits ab, erklärte ein Diplomat: Der Reformvertrag als Ausweichoption nach der Totgeburt des Verfassungsvertrags.
Zwar werde die EU wohl nicht auseinanderfallen, heißt es. Sicher ist aber der erneute Stillstand: Die EU müsste sich erneut vorrangig mit internen Problemen herumschlagen.