Die Ablöse an der Spitze des EU-Parlaments bringt Bewegung auch in andere EU-Institutionen.
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Brüssel. Alain Lamassoure zögerte nicht lange. Der französische EU-Abgeordnete gab nur wenige Stunden nach der Abschiedserklärung von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz bekannt, dass er für dessen Posten kandidieren wolle. Denn Schulz geht zurück nach Deutschland, und im Jänner muss ein neuer Vorsitzender des Abgeordnetenhauses gewählt werden.
Auch wenn im Vorfeld über die Karriere-Pläne des deutschen Sozialdemokraten viel spekuliert wurde, durfte die Entscheidung dennoch nicht überraschen. Denn es gibt eine Vereinbarung zwischen den beiden größten Fraktionen im EU-Parlament, dass sich deren Vertreter das Präsidium teilen. In der zweiten Hälfte der Legislaturperiode müsste also ein Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP) das Amt übernehmen. Und dass die größte Gruppierung diesen Anspruch nicht einfach aufgeben werde, hatte Fraktionsvorsitzender Manfred Weber mehrmals klargestellt.
Doch nun beginnt für die EVP die Suche nach einem geeigneten Kandidaten. Weber selbst, der erst in der Vorwoche mit überzeugender Mehrheit in seiner Führungsposition in der Gruppierung bestätigt wurde, zeigt keine Begeisterung für eine eigene Bewerbung. Der 72-jährige Lamassoure hat sich nun ins Spiel gebracht; immer wieder fällt auch der Name der Irin Mairead McGuinness. Dem italienischen Mandatar und ehemaligen EU-Kommissar Antonio Tajani werden ebenfalls Ambitionen nachgesagt, allerdings sehen manche die Nähe zu Ex-Premier Silvio Berlusconi als Hürde an. Der frühere slowenische Ministerpräsident Alojz Peterle ist ebenso im Gespräch wie - seltener - der österreichische Abgeordnete Othmar Karas, der sich mit Kommentaren dazu in Zurückhaltung übt.
Die zog auch Weber zunächst vor. Auf ihren Kandidaten will sich die EVP nämlich erst Mitte Dezember festlegen. Schon jetzt aber setzt Weber auf eine stabile Koalition, zu der bisher auch Schulz beigetragen habe. Entscheidend sei, "dass wir diese Stabilität sichern", erklärte der CSU-Politiker.
Doch der Wechsel an der Spitze des EU-Parlaments wird Bewegung bringen - und nicht nur im Abgeordnetenhaus. Zum einen ist nicht klar, ob die EVP das Amt des Präsidenten übernimmt. So gibt es schon Gerüchte, dass der Liberale Guy Verhofstadt ein Kompromisskandidat sein könnte. Und falls die EVP an die Spitze der Volksvertretung rückt, werden die Sozialdemokraten auf mehr politische Balance in den EU-Institutionen pochen. Andernfalls würden alle drei Spitzenposten mit konservativen Politikern besetzt: Sowohl der Präsident der EU-Kommission als auch EU-Ratspräsident Donald Tusk kommen nämlich aus diesen Reihen.
Juncker hat sich übrigens stark für einen Verbleib von Schulz eingesetzt. Er soll sogar seine eigene politische Zukunft damit verknüpft haben. Doch ist es eher Tusk, der sich Sorgen machen könnte, wenn ein EVP-Mitglied das Parlament führt. Denn im Mai läuft die Amtszeit des Ratspräsidenten aus. Eine Ablöse wäre daher nicht ausgeschlossen.