Im Konflikt mit AstraZeneca entscheidet sich die künftige Machtverteilung innerhalb der EU.
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Brüssel, hier als Chiffre für das Machtzentrum der EU, wird nach der Pandemie ein anderes sein als vorher - möglicherweise gedemütigt oder aber mit neuem, ungeahntem Selbstbewusstsein. Die Entscheidung darüber könnte bereits in den allernächsten Tagen fallen.
Die EU in Gestalt von Kommission und Parlament hat sich auch früher schon im Konflikt mit großen und mächtigen Akteuren versucht. Vor allem mit den US-Tech-Konzernen wie Google, Microsoft, Facebook oder Qualcomm. Aber in der Mehrzahl waren und sind diese Auseinandersetzungen juristischer Natur, wo es um den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen geht. Versuche der EU, diese Tech-Giganten einer europäischen Regulierung zu unterwerfen, stecken noch in den Kinderschuhen.
Mit der Auseinandersetzung mit dem britisch-schwedischen Impfkonsortium AstraZeneca betreten die EU-Spitzen um Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Charles Michel, dem Präsidenten des Europäischen Rates, Neuland. Zum ersten Mal gehen die Spitzen der EU in eine direkte politische Machtprobe mit einem globalen Konzern; das Hin und Her um den Wortlaut des Vertrags ist nur die Begleitmusik und allenfalls relevant, wenn der Verlierer anschließend die ordentlichen Gerichte anruft.
Für von der Leyen und Michel steht dabei viel auf dem Spiel und politisch eigentlich alles. Setzen sich die EU-Vertreter im Streit um Lieferkürzungen für die EU nicht gegen den Pharmakonzern und auch gegen Großbritannien durch - oder können sie nicht zumindest diesen Eindruck vermitteln -, war es auf absehbare Zeit wohl das letzte Mal, dass die großen EU-Staaten das Heft des Handelns in einer auch für die eigenen Bürger elementaren Frage aus der Hand geben. Denn es werden die nationalen Regierungen sein, die für diese Niederlage vor ihrer nationalen Öffentlichkeit geradestehen müssten.
Das politische Standing der EU-Spitze läge in Trümmern, die von vielen in Brüssel (und nicht nur dort) ersehnte Machtverschiebung weg vom Rat hin zu Kommission und Parlament wäre weit zurückgeworfen.
Damit liegt auch schon auf der Hand, wie viel vor allem für von der Leyen im Erfolgsfall zu gewinnen wäre. Der Beweis wäre erbracht, dass es sich bei der Kommission um ein Schwergewicht der Macht handelt, nicht bloß um eine die Einhaltung der Verträge beaufsichtigende Behörde. Und das Beste käme ohnehin erst noch: das gigantische Wiederaufbauprogramm über insgesamt fast 2 Billionen Euro unter der Oberaufsicht der EU.
Brüssel wird nicht mehr wiederzuerkennen sein. So oder so.