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Brüssels Zittern vor dem großen Wandel

Von Stefan Haderer

Gastkommentare
Stefan Haderer ist Kulturanthropologe und Politikwissenschafter. Alle Beiträge dieser Rubrik unter: www.wienerzeitung.at/gastkommentare

Die EU darf nicht den Fehler machen, die Signale des Wahlsiegs von Donald Trump zu ignorieren.


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Angesichts des künftigen US-Präsidenten Donald Trump steht die gesamte EU vor einer Weichenstellung. Rächen sich etwa jetzt, wo Trump eine vollkommen neue US-Außenpolitik zumindest ankündigt, die schwerwiegenden Fehler, die die europäische Staaten- und Wertegemeinschaft in den vergangenen Jahren begangen hat? Entschärfung statt Aggression müsste momentan oberste Priorität haben. Denn selbst ein eigenes EU-Heer wird die Probleme der Welt, an denen Europas bisher US-hörige Eliten zum Teil eine erhebliche Mitschuld tragen, mit Sicherheit nicht lösen.

Wenigstens die britische Premierministerin Theresa May fühlt sich darin bestätigt, dass ihr Land die enge Partnerschaft mit den USA, aber auch mit anderen nicht-europäischen Staaten unterstützen will. Umso erstaunlicher ist die Haltung der deutschen Bundesregierung. Offensichtlich bevorzugt Angela Merkel, die nun eine erneute Kanzlerkandidatur angekündigt hat, eine Verlängerung der Eiszeit mit der Regierung in Moskau und ein Andauern der Bürgerkriege in Syrien und Libyen. Genau dafür wäre Hillary Clinton, deren Wahlsieg Meinungsforscher und Redakteure in Europa eigentlich erwartet hatten, letztendlich gestanden.

Sollte eine aufgeklärte europäische Wertegemeinschaft nicht eher darum bemüht sein, Verhandlungen mit schwierigen Partnern wie Russland zu führen, statt Sanktionen zu verhängen, um den Weg für transatlantische Freihandelsabkommen zu ebnen, gegen die zahlreiche europäische Bürger protestieren?

Je mehr in Brüssel also vor dem unvorhersehbaren Regierungsstil eines erratischen US-Präsidenten Trump gewarnt wird, desto unglaubwürdiger wird die EU für breite Schichten in der europäischen Bevölkerung. Und das, wohlgemerkt, ohne das Zutun von Populisten. Wie lässt sich künftig erklären, dass es schlecht sei, mit den Präsidenten Donald Trump, Wladimir Putin und Bashar al-Assad zu reden, während man gleichzeitig vor jeder Kritik am Regime des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zurückschreckt? Und wie lässt sich der Zivilgesellschaft noch länger erläutern, dass die Aufrüstung dubioser syrischer Rebellen nach Jahren blutiger Kämpfe gut für die Menschen dort sei? Schließlich arbeitet nicht jeder in der lukrativen amerikanischen und deutschen Rüstungsindustrie und profitiert davon.

Viele ehemalige US-Demokraten wählten nun vielleicht gerade deshalb Trump, weil sie auf ein Ende der von Washington geförderten Regimewechsel und der von Barack Obama abgesegneten Militärinterventionen im Nahen Osten hofften, und nicht, weil sie sich mit Trumps bizarrer Rhetorik identifizieren.

Der größte Irrtum, den Brüssel in den nächsten Monaten begehen könnte, wäre, die Zeichen des Wandels nicht für Europa zu nutzen und sich zunehmend international zu isolieren. Der künftige US-Präsident Trump sollte daher stets an sein Versprechen einer Aussöhnung mit Putin und Assad erinnert werden. Eine Ablehnung einer solchen Annäherung wäre für die Europäische Union jedenfalls mindestens genauso fatal wie ein Kniefall vor dem türkischen Machthaber Erdogan.