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Brutal und kontraproduktiv

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Chinas Aufstieg raubt vielen den Atem. Und vernebelt manchem auch den Verstand. Immerhin gibt es eine durchaus ernst gemeinte Debatte darüber, ob autoritäre Regime nicht vielleicht doch besser geeignet sind, langfristig notwendige Weichenstellungen vorzunehmen, als unsere behäbige liberale Parteiendemokratie, wo Politiker ständig die nächste Wahl im Hinterkopf herumschwirrt.

Chinas Familienpolitik eignet sich dazu, mit diesem Hirngespinst aufzuräumen. Die Ein-Kind-Regel sollte das Land vor einer drohenden Überbevölkerung bewahren. Tatsächlich hat diese Politik China an den Rand einer Katastrophe geführt. Und zwar ethisch, angesichts der ungezählten erzwungenen Abtreibungen und Kindermorde, die vor allem Mädchen betrafen; sozial, indem aus verwöhnten Einzelkindern nicht-gesellschaftsfähige Erwachsene wurden; und wirtschaftlich, da China mittlerweile rasant altert und demnächst Arbeitskräfte und kaufkräftige Konsumenten fehlen.

Die Probleme alternder Gesellschaften sind auch in Europa, in Russland oder in Japan bestens bekannt. Im Unterschied zu China verfügen aber zumindest Europa und Japan über ein soziales Sicherungsnetz. In China steckt der Aufbau eines Pensionssystems in den Kinderschuhen.

Dabei waren das ungezählte menschliche Leid und all die Brutalität, mit der Chinas angeblich so weitsichtige kommunistische Nomenklatura die Ein-Kind-Politik seit 1979 durchgesetzt hat, nicht einmal notwendig. Laut Statistiken der Weltgesundheitsorganisation fand der massivste Rückgang bei der Fruchtbarkeitsrate chinesischer Frauen bereits Jahre vor dem Erlass statt. Heute liegt diese in China bei 1,6 Kindern je Frau - 2,1 sind notwendig, damit die Bevölkerung stabil bleibt. Indien lag 1970 wie China bei fast 6, heute liegt es bei 2,5 - ganz ohne Zwangsmaßnahmen.

Mittlerweile hat die Ein-Kind-Politik in der Gesellschaft tiefe Wurzeln geschlagen. Viele Paare können oder wollen sich mehr als ein Kind aufgrund der massiv gestiegenen Lebenshaltungskosten in den Städten gar nicht leisten. Und so einfach lässt sich ein jahrzehntelanges propagandistisches Trommelfeuer nicht rückgängig machen. Chinas Herrscherklasse lernt jetzt erst, was ihre demokratische Konkurrenz schon länger weiß: Menschen lassen sich nicht willkürlich ihr Leben diktieren.