Der italienische Wahlkampf wird von Gewalt und Streit über den Faschismus geprägt.
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Rom. Die "bleiernen Jahre" sind in Italien ein stehender Begriff. Gemeint sind damit die Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts, in denen linker und rechter Terror die Bevölkerung mit Bombenattentaten, Entführungen und Morden in Atem hielten.
Eine so angespannte Zeit wie damals erlebt Italien dieser Tage glücklicherweise nicht. Aber es gibt immer mehr ältere Beobachter, die sich heute in das politische Klima der "anni di piombo" in den 70er und 80er Jahren zurückversetzt fühlen. In einer Woche wählen die Italiener ein neues Parlament, der Wahlkampf steuert auf seinen Höhepunkt zu. Dabei haben sich in den vergangenen Wochen immer mehr Gewalttaten zu einem brutalen Crescendo aneinandergereiht.
An diesem Samstag sind in Rom, Mailand und Palermo drei Großdemonstrationen geplant. "Alarm auf den Plätzen", titelte am Donnerstag die Tageszeitung "La Repubblica". Innenministerium und Polizei bereiten sich offenbar auf Auseinandersetzungen mit Demonstranten vor, auch wenn Innenminister Marco Minniti davor warnte, die Lage zusätzlich anzuheizen: "Wir dürfen nicht von einem Notstand reden, wir müssen unsere Worte mäßigen." Der Staat habe bisher mit harter Hand geantwortet, keine Tat sei ungestraft geblieben.
Prügel und Messerstiche
Der Innenminister bezog sich damit auf mehrere Vorfälle in der vergangenen Woche. Am Dienstag war ein Politiker der neofaschistischen Partei Forza Nuova in Palermo von mehreren Autonomen krankenhausreif geschlagen worden. Die Linksradikalen filmten ihre Gewalttat und posteten ein Video im Internet. Sechs Verdächtige wurden bisher gefasst. Für Samstag rief Forza Nuova zu einer Solidaritäts-Demonstration in Palermo auf Sizilien auf. Dienstagnacht drangen Aktivisten der Partei in das Studio des Fernsehsenders "La 7" in Rom ein, um auf den Übergriff in Palermo aufmerksam zu machen. Am Donnerstag wurden bei einer Demonstration gegen Neofaschisten in Turin drei Polizisten verletzt.
Ebenfalls am Dienstag war es in einem Vorort der Stadt Perugia in Umbrien zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Links- und Rechtsradikalen gekommen. Ein Aktivist der linksradikalen Partei "Potere al Popolo" wurde dabei von mehreren Neofaschisten mit Messerstichen verletzt und ins Krankenhaus eingeliefert. Die Kontrahenten waren beim Aufhängen von Wahlplakaten aneinandergeraten. Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten gehören mittlerweile fast zur Tagesordnung. Am Wochenende waren in Bologna am Rande einer Demonstration rechte und linke Aktivisten aufeinander losgegangen. In Piacenza verprügelten Teilnehmer einer Gegendemonstration gegen Rechtsradikale einen wehrlos am Boden liegenden Polizisten. Zwei Verdächtige wurden festgenommen. Wie am Donnerstag bekannt wurde, hat die Staatsanwaltschaft in Mantua neun Personen angeklagt, weil sie die Neugründung der verbotenen faschistischen Partei vorangetrieben hätten.
Besonders angeheizt wurde die Lage Anfang Februar, als in der mittelitalienischen Stadt Macerata der 27 Jahre alte Luca T. von seinem Auto aus wahllos auf dunkelhäutige Immigranten schoss und dabei sechs Menschen verletzte. T., der im vergangenen Jahr bei den Kommunalwahlen erfolglos für die fremdenfeindliche Lega kandidiert hatte und Nazischriften wie "Mein Kampf" las, begründete seinen Amoklauf mit einer Sippenhaftung einer anderen Gewalttat. In den Tagen zuvor war in Macerata die zerstückelte Leiche einer 18-Jährigen gefunden worden. Die Polizei nahm drei Nigerianer als Tatverdächtige fest.
Marsch gegen Faschismus
Der Amoklauf des Luca T. in Macerata ist Anlass für die Großdemonstration "gegen Faschismus und Rassismus" an diesem Samstag in Rom. Der italienische Partisanenverband, Gewerkschaften und Linksparteien, darunter auch der gemäßigte Partito Democratico (PD) von Premierminister Paolo Gentiloni, kündigten ihre Teilnahme an. In Mailand hingegen ruft die fremdenfeindliche Lega für Samstag zu einer Großdemo auf unter dem Motto: "Jetzt oder nie. Italiener zuerst!" Deren Parteichef Matteo Salvini hatte den Amoklauf von Macerata zwar verurteilt, ihn aber auch in Zusammenhang mit "unkontrollierter Einwanderung" gebracht, die zum "sozialen Zusammenstoß" führe.
In den drei Demonstrationen am Samstag in Rom, Mailand und Palermo kulminiert nun der durch den Wahlkampf zugespitzte Streit um Immigration und das Erbe des Faschismus in Italien. Auf der einen Seite stehen linksorientierte Parteien und Gruppierungen, die den Antifaschismus als Grundwert verteidigen. So forderte die linke Parlamentspräsidentin Laura Boldrini in den vergangenen Tagen das Verbot von Gruppen, die sich mit dem Faschismus identifizieren. Auf der anderen Seite wird der Faschismus relativiert oder wie von der rechtsradikalen Forza Nuova sogar ganz offen zelebriert.
Der faschistische Diktator Benito Mussolini habe auch positive Dinge bewirkt, behauptet auch Lega-Chef Salvini und hat damit einen Teil der Bevölkerung hinter sich. Einer Umfrage zufolge bewerten 19 Prozent der Italiener die Ära Mussolini, der eine Allianz mit Hitler schmiedete, als positiv.
Diese krassen Gegensätze haben historische Wurzeln, die nun im Wahlkampf an die Oberfläche treiben. Der Faschismus wurde in Italien nie grundlegend aufgearbeitet und ist kein Tabu. Die Gründer der Republik von Salò, die bis zum Kriegsende 1945 einen faschistischen Staat in Norditalien weiterleben ließen, betrieben auch anschließend in der italienischen Republik Politik. Die Nachfolgepartei der überzeugten Faschisten von damals, die sich heute gemäßigt gibt und den Namen "Fratelli d’Italia" (Brüder Italiens) trägt, tritt bei den Wahlen am 4. März in einer Koalition mit der Lega und Silvio Berlusconis Forza Italia an. Die Koalition hat Chancen auf den Wahlsieg.