Frankfurt am Main · Ignatz Bubis war ein deutscher Patriot und eine moralische Autorität, wie es kaum eine andere in Deutschland gibt. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland wollte | nach seinen eigenen Worten nicht "das Gewissen der Nation" sein, aber für viele in Deutschland war er genau das.
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Bubis, der am Freitag im Alter von 72 Jahren starb, war ein überzeugter Liberaler und Weltbürger, kommunalpolitisch in Frankfurt am Main für die Freien Demokraten (FDP) engagiert und spielte im
Weltjudentum eine gewichtige Rolle. Sein Streiten für das neue, demokratische Deutschland und sein Kampf gegen Neonazis, gegen Rassismus und Intoleranz aber endeten verbittert. Er habe "nichts
erreicht", klagte er noch im Juli in einem Interview des deutschen Magazins "Stern". Weder sei das deutsch-jüdische Verhältnis normalisiert, noch fühlten sich die Deutschen für Auschwitz
verantwortlich. "Ich habe gegen Wände gesprochen", beschrieb er in einem dpa-Interview im vergangenen Herbst, seinen Kampf gegen Antisemitismus und Geschichtsverdrängung. 30 Prozent der Deutschen
seien noch immer antisemitisch eingestellt.
Der Schlüssel zum Verständnis seiner Depression waren die Reaktionen in Deutschland auf die Friedenspreisrede des Schriftsteller Martin Walser im Oktober 1998. Walsers zumindest sehr
missverständliche Rede über die angebliche "Instrumentalisierung von Auschwitz" und über das Nicht-mehr-Hinsehen-Können, wenn es um die Verbrechen der deutschen Nazis gehe, hatten Bubis tief empört.
Fast noch schlimmer empfand er die allgemeine Zustimmung auf die Rede vor Ort · in der Frankfurter Paulskirche · und danach von deutschen Politikern und Intellektuellen.
Der gebürtige Breslauer antwortete auf die Frage nach seiner Heimat am liebsten "Frankfurt" · nicht Deutschland. Er wolle auch nicht hier begraben werden; er wolle in Israel seine letzte Ruhe finden.
Aber Bubis wird dennoch in den Geschichtsbücher einen Platz als großer Deutscher finden. Denn der Mann, der von den Nazis ins Arbeitslager gesteckt wurde, dessen Vater und zwei seiner Geschwister von
den Schergen Hitlers ermordet wurden, dem schließlich auch noch als Geschäftsmann in der Bundesrepublik die modernen Spielformen des Antisemitismus entgegenschlugen, war einer der wichtigsten
Verteidiger des modernen Deutschlands.
Bubis verstand es, mit seiner Unbeirrbarkeit in der Sache gleichermaßen als Ankläger wie als Verteidiger Deutschlands akzeptiert zu werden. Er warnte unüberhörbar davor, Ausbrüche an Fremdenhass im
wiedervereinigten Deutschland zu verharmlosen, er prangerte die Gefahr für Demokratie und Menschlichkeit an, gleich ob es um Anschläge gegen Ausländerheime ging oder fragwürdige Gerichtsurteile gegen
Rechtsradikale. Aber er verteidigte Deutschland auch gegen Vorurteile und pries das moderne Deutschland als ein demokratisches Land "mit ebenso viel und ebenso wenig Antisemitismus wie in anderen
europäischen Ländern auch."
Bubis wirkte meist sehr gelassen und abgeklärt, ohne temperamentlos zu sein. Ein Realist, der nicht rauchte oder trank, unter dessen Arbeitswut seine Familie hin und wieder litten. Als persönliche
Schwächen nannte er auch Gutgläubigkeit · am Ende seines Lebens schien er sich auch von den Deutschen, und insbesondere der politischen und geistigen Elite getäuscht zu fühlen.