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Budget-Einigung in Brüssel: Jubel - und gedämpfte Freude

Von Michael Schmölzer

Politik
EU-Ratspräsident Charles Michel und die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, sind als Vermittler klar auf der Siegerseite.
© reuters/Lecocq

Die EU-Staaten haben ein beispielloses Finanzpaket geschnürt. Der Applaus über das Gipfelergebnis ist ungleich verteilt.


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Es ist vollbracht. Vier Tage und vier Nächte haben die EU-Staats- und Regierungschefs über ein beispielloses Finanzpaket von 1,8 Billionen Euro verhandelt. Am Dienstag um 5.31 Uhr war dieses unter Dach und Fach. Die Gespräche verliefen keineswegs konfliktfrei, Bruchlinien wurden offenbar und für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist nun endgültig klar, dass es völlig "unterschiedliche Auffassungen" vom Konzept Europa gibt.

Stellt sich die Frage, wer sich jetzt zu den Siegern, wer zu den Verlierern zählen darf. Allen Beteiligten war von Anfang bewusst, dass nur eine rasche Einigung auf einen Corona-Hilfsfonds eine ökonomische Katastrophe abwenden kann, die letztlich jedes Land in die Tiefe reißen würde. Vor dem Sondergipfel war nicht ausgemacht, dass es zu einer Einigung kommt. So gesehen kann sich jeder berechtigt als Sieger fühlen.

Keine "Notbremse" für Rutte

Allerdings sind Freude und Erleichterung über das erzielte Resultat in Europa nicht gleich verteilt. So wird der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte am Dienstag nicht unbedingt eine Flasche Champagner entkorkt haben. Immerhin wollte er ein Vetorecht für jedes Land bei Beschlüssen, wie die von der EU bereitgestellten Mittel verwendet werden. Ein solches Veto gibt es nicht, ein Land kann bei Bedenken die Auszahlung verzögern, bis beim nächsten regulären EU-Gipfel ausführlich darüber debattiert wird. Einigt man sich auch hier nicht, kann die EU-Kommission das Geld freigeben. Eine von Rutte gewünschte "Notbremse" ist das jedenfalls nicht.

Rutte hat das für ihn maximal Mögliche herausgeschlagen, sich aber vor allem gegenüber Italien und Spanien als "bad cop" präsentiert. Ihm wird zu einem großen Teil zugeschrieben, dass der Gipfel so lange gedauert hat. Diese Haltung hat dem Niederländer mehrheitlich keine Sympathien eingebracht. Und die Kontrolle über die Mittelvergabe hat trotzdem die Kommission erhalten.

In Italien hingegen kennt die Zufriedenheit keine (Partei-)Grenzen. Nicht nur die Regierung in Rom, auch die Opposition ist mit dem Resultat des Gipfels mehr als einverstanden. Italiens Ex-Ministerpräsident und derzeitiger EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni feierte den Kompromiss als "historisches Resultat", als den "wichtigsten wirtschaftlichen Beschluss seit der Einführung des Euro".

Wirtschaftsminister Roberto Gualtieri meinte, Europa reagiere auf den "Ruf der Geschichte" mit einem ehrgeizigen Abkommen. Selbst die oppositionelle Lega fand Lob für die nun garantierten Hilfszahlungen, die zum größeren Teil nicht zurückgezahlt werden müssen.

Die Freude ist auf der Seite der Italiener, weil das Land - unverschuldet, wie Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel betonte - am heftigsten von der Corona-Pandemie getroffen wurde. Bisher sind dort mehr als 35.000 Menschen gestorben, die Wirtschaft ist schwer getroffen. Für Italien war eine rasche Einigung auf ein umfassendes Hilfsprogramm eine Frage von Sein oder nicht Sein.

Europas "Motor" läuft

In einer ähnlichen Lage ist Spanien, auch hier stößt man einen Seufzer der Erleichterung aus. "Zu 95 Prozent" sei man zufrieden, so der spanische Premier Pedro Sanchez. Der einzige Wermutstropfen besteht darin, dass Madrid mit rund 140 Milliarden Euro an zu erhaltenden Hilfsmitteln - 72,7 Milliarden Euro davon sind geschenktes Geld - erheblich weniger als Italien bekommt. Für den "Stiefel" werden mehr als 200 Milliarden Euro lockergemacht.

Doch auch Sanchez spart nicht mit historischen Vergleichen. Für ihn ist jetzt ein "wahrhafter Marshallplan" Realität geworden. Er zieht Parallelen zu jener US-Finanzspritze, die Westeuropa nach 1945 von einem Trümmerfeld zu einem ökonomischen Erfolgsmodell werden ließ. Es sei "historisch", meinte Sanchez, dass sich die EU-Kommission erstmals in ihrer Geschichte verschulde, um nationale Programme zu finanzieren.

Mit Recht als Sieger fühlen sich die, die in vermittelnder Funktion tätig waren - allen voran EU-Ratspräsident Charles Michel. Er hat es geschafft, aus einer schwierigen Ausgangslage einen Kompromiss zu zimmern. Und es waren nicht zuletzt einige seiner Vorschläge, auf die sich schließlich alle einigen konnten.

Enorme Hilfe hat Michel von Angela Merkel und Emmanuel Macron erhalten. Vor allem die deutsche Kanzlerin wurde ihrer selbst gewählten Brückenfunktion gerecht. Frankreich und Deutschland zogen an einem Strang, der klassische "EU-Motor" brummte wieder. Deutschland machte Zugeständnisse und billigte gemeinsam mit Frankreich eine Verschuldung der EU.

Rabatte mit Einschränkung

Merkel konnte auch durchsetzen, dass es die Rabatte auf den deutschen EU-Beitrag weiter geben wird.

Die Gruppe der "Sparsamen Vier", also Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark haben unter den gegebenen Bedingungen ihre Forderungen nur beschränkt durchsetzen können. Immerhin haben sie Nachlässe bei den EU-Beitragszahlungen erwirkt. Die Rabatte belaufen sich im Zeitraum 2021 bis 2027 auf 7,87 Milliarden Euro. Österreich bekommt 565 Millionen Euro jährlich, doch bleibt unterm Strich nur gut die Hälfte dieses Betrags übrig, weil Österreich genauso wie alle anderen EU-Länder die zum Teil deutlich höheren Rabatte anderer Nettozahler finanzieren muss.