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Budget wie ein Entwicklungsland

Von Thomas Seifert

Politik

Die Haushalts-Struktur der EU ist längst nicht mehr zeitgemäß.


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Brüssel/Wien. Das Budget, das ist in Zahlen gegossene Politik. Und diese Budgetstruktur der EU sei mit den Budgets der am wenigsten entwickelten Ländern der Welt vergleichbar, meinte der Abgeordnete zum Europaparlament Jörg Leichtfried (SPÖ) vor einigen Tagen. Vor einer Gruppe österreichischer Journalisten sagte er: "Das ist eine unglaubliche Schräglage, die zwar historisch erklärbar, aber nicht mehr zeitgemäß ist." Leichtfried spielt auf die Tatsache an, dass der größte Einzelposten des EU-Budgets in die Landwirtschaft fließt, ein Überbleibsel aus der Gründungsära des gemeinsamen Markts, das sich bereits in den römischen Verträgen von 1957 findet. Die Wirtschaftsstruktur Europas hat sich seither gewandelt, aus Agrarnationen wurden Industrie- und Dienstleistungsvolkswirtschaften. Der Anteil der Land- und Forstwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist in Österreich von knapp unter 20 Prozent des BIP auf unter drei Prozent gesunken. Doch auch beim jüngsten - am Freitag in Brüssel gescheiterten - EU-Gipfel gab es große Meinungsunterschiede über die Zukunft der EU-Agrarpolitik.

Nur mehr 100.000 Euro für bäuerliche Betriebe?

Die Grünen kritisieren an der europäischen Agrarpolitik, dass größere Betriebe gefördert werden, kleinere hingegen nur wenig aus den Brüsseler Töpfen bekommen. 31.500 landwirtschaftliche Betriebe in der EU kassieren mehr als 100.000 Euro an Agrarsubventionen, insgesamt macht das 6,5 Milliarden Euro aus. Während gleichzeitig, so die Kritik, 5,3 Millionen Kleinbauern weniger als 2000 Euro an Subventionen bekommen haben. Der Vorschlag der Grünen: Die Subventionen an einzelne Betriebe könnten auf 100.000 Euro pro Betrieb limitiert werden, was jedes Jahr Ersparnisse von 6,3 Milliarden Euro bringen würde - das entspräche immerhin fünf Prozent des Gesamtbudgets der EU. Der frühere Agrarkommissar und jetzige Präsident des Europäischen Forums Alpbach kann dem Grünen Vorschlag einiges abgewinnen, hielte aber eine Degressivität für zielführender, "als wenn da einfach bei 100.000 Euro die Guillotine herunterfällt".

Mehr Geld für ein Soziales Europa?

"Seit Tagen haben wir gehört, um wie viel einzelne EU-Länder das Budget der Union kürzen wollen. Als Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Integration muss ich auf die soziale Dimension achten", meint László Andor in einem Gespräch mit österreichischen Journalisten. Doch der Sozialkommissar führt in Brüssel ein Mauerblümchendasein, obwohl die Jugendarbeitslosigkeit in einzelnen EU-Ländern an der 50-Prozent-Marke kratzt und in Europa 25 Millionen Menschen ohne Arbeit sind.

Komissar Andor zweifelt selbst daran, ob Europa die richtigen Prioritäten setzt, und deponiert auch gleich Budgetwünsche: etwa mehr Mittel für den sogenannten "Globalisation Adjustment Fund", für den derzeit rund 500 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Dieser Fonds dient dazu, Arbeitnehmer, die aufgrund von Betriebsverlagerungen oder dem globalen Strukturwandel ihren Arbeitsplatz verloren haben, mit neuen Fertigkeiten auszustatten. Umschulungen, Retraining und Initiativen zur Selbstständigkeit sollen die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt ermöglichen. "Von Österreich kam nie besonders viel Unterstützung für diesen Fonds, obwohl Projekte in Niederösterreich und dem Burgenland aus Mitteln des Fonds finanziert werden", klagt Andor. Andor schlägt zudem ein Job-Garantie-Programm für junge Leute nach dem Vorbild Österreichs vor: Europaweit würde das 20 bis 21 Milliarden Euro kosten, gleichzeitig würden sich die Mitgliedsländer rund 100 Milliarden an Sozialausgaben ersparen.

In den südlichen EU-Staaten wurde zwar in die Infrastruktur investiert, dabei aber auf die Förderung des Humankapitals vergessen. "Wir brauchen nicht mehr Autobahnen, Bahnhöfe oder Flughäfen, sondern Qualifizierungsmaßnahmen für die jungen Leute", sagt Andor. "Die Union hat keine Kompetenzen im Bildungsbereich, keine Kompetenzen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und keine Kompetenz in den Bereichen Forschung und Entwicklung. Da besteht Modernisierungsbedarf", meint der österreichische Abgeordnete zum Europaparlament Othmar Karas (ÖVP).

Modernere Gemeinschaftspolitik?

Beim Streit ums Budget geht es also um mehr: Gelingt es irgendwann in der Zukunft die Gemeinschaftspolitik auf moderne Politikfelder zu fokussieren? Oder wollen die Staats- und Regierungschefs auch noch bei den nächsten Gipfeln um die Zuwendungen an Europas Bauern streiten? Zudem stellt sich die Frage, ob die Gipfeltreffen des Europäischen Rates die richtige Konfliktarena für den Budgetstreit sind: Als die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) noch aus sechs Mitgliedern bestanden hat, war die Kompromissfindung nicht weiter schwierig. Heute, da die EU aus bald 28 Mitgliedsländern gebildet wird, ist das keine triviale Aufgabe. Dazu kommt: "Der Gipfel ist nicht die EU, der Gipfel ist nicht der europäische Gesetzgeber. Der Gipfel ist nicht einmal eine europäische Institution", sagt Karas.

Für eine Stärkung der europäischen Industriepolitik plädiert auch der Grün-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit: "Wie wäre es mit der Schaffung eines europäischen Straßenbahn-Bau-Konsortiums? Wir brauchen eine Alternative zum Automarkt, der eine der wichtigsten Stützen der europäischen Industrie ist." Das sei aus verkehrs- wie auch aus energiepolitischen Gründen notwendig.

Die Brüsseler Politik hat sich ins Wochenende verabschiedet, die Budgetverhandlungen werden im nächsten Jahr fortgesetzt. Ein ausgewachsener Budgetstreit etwas mehr als zwei Wochen vor der Verleihung des Friedensnobelpreises in Stockholm am
10. Dezember, das sieht nicht gut aus.