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Budgethoheit ohne Macht

Von Alexandra Laubner

Politik

Der Großteil der 23 Bezirksparlamente ist angelobt. Aber was dürfen Bezirke und was nicht? Und wie steht es mit Reformen?


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Wien. Es ist ein dicker Ordner mit mehr als 90 Seiten - mit akribisch genau aufgelisteten Handlungsanleitungen. Das Organisationshandbuch regelt unter anderem, welche Kompetenzen die Bezirke haben und welche nicht. Und das braucht es auch, denn Dezentralisierung ist nicht gerade verwaltungsschonend und benötigt viel Abstimmung - in Wien genau genommen mit 23 Bezirken. "Die wohl wichtigsten Kompetenzen der Bezirke sind die Eigenzuständigkeiten in den Bereichen Straßenbau, Grünflächen, die in der Verwaltung des Stadtgartenamtes stehen, sowie städtische Schulen und Kindergärten, Pensionistenklubs beziehungsweise die Seniorentreffs als auch die Kulturförderung des Bezirkes", erklärt Hanna-Maria Wismühler von der Magistratsdirektion der Stadt Wien von der Bereichsleitung Dezentralisierung.

Ja, es gibt im Rathaus eine eigene Dezentralisierungs-Abteilung. Wismühler kommt auch dann ins Spiel, wenn es zu Auffassungsunterschieden, wie Wismühler es nennt, zwischen einem Bezirk und der Stadt kommt. "Der Bezirk vertritt in der Regel die Bürger. Und das entspricht nicht immer den rechtlichen Rahmenbedingungen", so Wismühler. Eine einheitliche Vorgehensweise sei wichtig.

Eigenzuständigkeit könnte aber missverstanden werden, der Begriff "Aufgabe" würde es besser beschreiben. Denn ohne einem OK der Verwaltung sind den Bezirken die Hände gebunden, da Bezirke keine Rechtspersönlichkeit sind. Bezirke können beispielsweise nicht einmal eine Firma beauftragen, um der Volksschule ums Eck einen neuen Anstrich zu verpassen. "Die Verwaltung macht die Kostenschätzung und den Kreditantrag und der Bezirk genehmigt die Budgetmittel und stellt sie zur Verfügung. Der Bezirk kann nicht ohne Verwaltung, aber die Verwaltung auch nicht ohne Bezirk", erklärt Wismühler.

Leopold Gratz setzteden Startschuss

Leopold Gratz (1929-2006) setzte den Starschuss für die Dezentralisierung. Der SP-Politiker, der von 1973 bis 1976 das Amt des Wiener Bürgermeisters innehatte, Häupls Vorvorgänger also, hat 1973 die ersten Schritte zur Aufwertung der gewählten Bezirksvertretungen eingeleitet. Floridsdorf und die Donaustadt waren quasi Versuchsterrain. 1979 wurden die Bezirksvertretungen aufgestockt und durch Dezentralisierungsverordnungen wurden den Bezirken Mitwirkungs-, Anhörungs- und Informationsrechte eingeräumt. Neun Jahre später, 1988, erhielten die Bezirke Eigenzuständigkeit und die bis heute gültige Budgethoheit. 1998 erfolgte dann eine Ausweitung der Aufgaben von 12 auf 30 Punkte und eine Verdopplung des Budgets. "Es finden immer wieder Evaluierungen statt, so auch zuletzt in den Jahren 2001, 2008 und 2013. Dadurch erfolgten unter anderem die entsprechenden Budgetanpassungen", sagt Wismühler. Im Jahr 2008/2009 wurden die Bezirksmittel um vier Millionen Euro erhöht.

Donaustadt an derSpitze des Bezirksbudgets

Da die Bezirke über keine eigenen Einnahmen verfügen, wird den Bezirken das Budget aus dem Zentralbudget der Stadt Wien zugeteilt - abhängig von der Größe, der Einwohnerzahl und der Bebauung. 2015 verfügte die Donaustadt mit einem Betrag von 21,8 Millionen Euro über den größten Budgetkuchen, gefolgt von Favoriten (17,1 Millionen Euro) und Floridsdorf (16,1 Millionen Euro). Die Josefstadt bildete mit einem Bezirksbudget von 2,4 Millionen das Schlusslicht, nach dem 4. Bezirk mit 3,2 Millionen und der Inneren Stadt mit 3,7 Millionen Euro.

"Wesentlich ist auch die Mitsprache bei der Vergabe von Aufträgen für bauliche und gestalterische Projekte. Bei all diesen Fragen geht es aber nicht nur um die rechtliche Kompetenz, sondern auch um die finanziellen Möglichkeiten", sagt Markus Figl, designierter Bezirksvorsteher in der Inneren Stadt, der am 22. Dezember das Amt von Ursula Stenzel übernimmt. Figl, wie auch die weiteren beiden neuen Bezirksvorsteher - Paul Stadler (FPÖ) in Simmering und Silvia Nossek (Grüne) in Währing - sind alte Hasen und jahrelang, im Falle von Paul Stadler jahrzehntelang, im Bezirksparlament vertreten.

Die Neo-Bezirkschefs wissen, wie es läuft, und müssen nicht vor ihrem Amtsantritt den dicken Ordner durchackern. Denn bei der Kompetenzaufteilung gibt es auch Ausnahmen - und zwar nicht wenige. Die Entscheidungsrechte bei Kindergärten und Schulen beispielsweise beziehen sich lediglich auf städtische Einrichtung und nicht auf Privat- oder Bundesschulen. Bei den Straßen wiederum muss zwischen Nebenstraßen und ehemaligen Bundesstraßen differenziert werden. Letzteres fällt nicht in die Bezirkskompetenz. Und da wären noch die Wiener Märkte, wo wiederum der Meiselmarkt im 15. Bezirk und der Großmarkt Wien in der Laxenburger Straße im 23. Bezirk nicht in die Bezirkszuständigkeit fallen. Die Liste könnte man fortsetzen - von Familienbädern bis zu Kanalbauten.

"Bezirk muss finanziell auf eigenen Beinen stehen"

Bei vielen Entscheidungen sind den Bezirken jedenfalls die Hände gebunden, vor allem in jenen Bereichen, in denen Bescheide notwendig sind, wie bei der Bewilligung von Schanigärten. Der Bezirk wird angehört und er kann mitbestimmen, das ist auch schon alles. Die Entscheidungen trifft schlussendlich nicht der Bezirk. Deshalb bringt ein politischer Wechsel an der Spitze des Bezirks kaum Veränderungen. "Auch wenn der Bezirk keine rechtliche Kompetenz hat, so geht es in der Politik doch darum, Position zu beziehen", sagt Figl, der sich jedoch mehr Klarheit wünscht.

"Was ausschließlich die Innere Stadt betrifft, soll auch die Innere Stadt entscheiden können. Der Bezirk braucht mehr Selbständigkeit, um die Interessen der Menschen unmittelbar vertreten zu können. Ich würde gerne wie jede kleine Gemeinde in Niederösterreich behandelt werden. Der Bezirk muss finanziell auf eigenen Beinen stehen. Wir haben derzeit ein Budget von etwa 4,5 Millionen Euro, davon sind aber etwa 90 Prozent fix verplant - für Schul- und Straßensanierungen oder Begrünung der Parkanlagen", kritisiert Figl.

Auch Polit-Experte Thomas Hofer fordert mehr Transparenz in Bezug auf das Bezirksbudget. "Man muss sich die Frage stellen, was mit dem Geld passiert, aber auch, ob es in Wien 23 Bezirksparlamente braucht?" "Ein Bezirksvorsteher hat de facto keine Macht, aber er kann Showpolitik betreiben, und das meine ich jetzt nicht abwertend. Er kann der Stachel im Fleisch sein und dies auch ausreizen", sagt Hofer.

Und worin liegt jetzt die wahre Macht? Figl trifft es auf den Punkt: "Die wahre ‚Macht‘ des Bezirksvorstehers liegt darin, als Ombudsmann für die Bezirksbewohnerinnen und Bezirksbewohner erster Ansprechpartner und Sprachrohr zu sein." Ginge es nach Figl, hätten die Bezirke ihre rechtliche Selbständigkeit, könnten Volksbegehren initiieren und die Direktwahl der Bezirksvorsteher wäre bereits umgesetzt. Dann müssten man auch nicht das Wort Macht in Zusammenhang mit den Wiener Bezirken unter Anführungszeichen setzen.