Ein Besuch bei EMA-Direktor Guido Rasi in London, Lobbying und eine umfassende Konkurrenzanalyse - | die Bemühungen um die Ansiedlung der Europäischen Arzneimittelagentur in Wien laufen auf Hochtouren.
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Wien. Der Executive Director der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), Guido Rasi, ist immer ein gefragter Mann. Schließlich steht er der Agentur vor, die Arzneimittel zur Markt-Zulassung empfiehlt, die 27 Prozent des weltweiten pharmazeutischen Marktes umfassen.
Seit feststeht, dass die EMA aufgrund des Brexit ihren bisherigen Standort in London verlassen muss, hat sich das Interesse an Rasi aber noch einmal erhöht. 14 EU-Mitgliedstaaten buhlen derzeit darum, die zweitgrößte Agentur der EU und ihre 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern künftig zu beheimaten.
Auch der Wiener Wirtschaftskammer-Präsident, Walter Ruck, war kürzlich in London, um Rasi zu treffen und Wien als möglichen Standort zu präsentieren. "Die Gespräche mit der EMA waren ganz wichtig für eine erfolgreiche Bewerbung. Wir wissen nun, was dafür nötig ist und kennen die härteste Konkurrenz. Das ist ein Vorteil", sagt Ruck im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". In der Wirtschaftskammer Wien (WKW) rechnet man, dass die formelle Bewerbung Wiens Ende März eingereicht werden kann.
Geht es nach Rasi, soll ein Großteil der Mitarbeiter an den neuen Standort mitkommen. Damit diese wissen, womit sie rechnen können, müsse die Standortentscheidung noch 2017 getroffen werden, betonte er gegenüber Ruck. Denn die EMA habe schon jetzt wegen der Standortunsicherheit Schwierigkeiten neue Mitarbeiter zu rekrutieren.
Entscheidung im Juni möglich
Die Entscheidung trifft schließlich der Europäische Rat, bestehend aus allen 27 Staats- und Regierungschefs. "Schon im Juni könnte es zu einer Abstimmung kommen", sagt Gabriele Führer, Leiterin der Abteilung Außenwirtschaft in der WKW. Im Frühjahr 2019 soll die Übersiedlung abgeschlossen sein.
"Unser großes Ziel ist es jetzt einmal, auf die Shortlist zu kommen, die dann zur Abstimmung gelangt", sagt Führer. Die Chancen dafür, schätzt man in der Wirtschaftskammer als hoch ein: Wien könne mit einer hohen Lebensqualität, im Vergleich zu anderen Ländern moderaten Lebenserhaltungskosten, einem guten Gesundheitssystem und einem umfassenden Freizeit- und Kulturangebot punkten.
Auch die Ansiedlungs-Kriterien der EMA, nämlich direkte Erreichbarkeit aller EU-Länder, Relevanz als Pharma- und Forschungsstandort, ausreichend Wohnraum für 900 Familien, internationale Schulen und ein verfügbares Bürogebäude erfülle Wien, meint Führer.
Wo sich die EMA in Wien ansiedeln könnte, ist derzeit allerdings noch offen. Fix ist nur, dass aufgrund des kurzen Zeithorizonts auf ein bestehendes Gebäude zurückgegriffen werden muss. Ende März will die Stadt Wien Gebäude nennen, die die für die EMA benötigten 20.000 Quadratmeter umfassen.
Als größte Konkurrenten schätzt die Wirtschaftskammer Kopenhagen, Stockholm, Amsterdam und Mailand ein. Kopenhagen und Stockholm können vor allem mit dem Medicon Valley Alliance Cluster in der dänisch-schwedischen Örsund-Region punkten, der der größte Life-Science Cluster Europas ist. Auch die Forschungsquote ist in Dänemark mit 4,8 Prozent höher als jene in Wien (3,5 Prozent). Zudem ist Englisch dort fast eine zweite Muttersprache.
Auch Amsterdam kann ein hohes Sprachniveau in Englisch vorweisen, hinzu kommt ein zehn Millionen teurer Ausbau von internationalen Schulen und ein in Flughafennähe verfügbares Bürogebäude. Mailand punktet durch eine starke Pharmaindustrie, 30 Forschungszentren in der Lombardei und das Angebot, in die EMA-Übersiedelung 50 Millionen Euro zu investieren.
Für Wien spricht wiederum, dass die EU bei der Vergabe Länder ohne EU-Agentur bevorzugt. Zwar hat die Europäische Agentur für Grundrechte ihren Sitz in Wien, sie ist aber mit 100 Mitarbeitern eine relativ kleine Agentur. In den Niederlanden finden sich mit der Europol und der Justiziellen Zusammenarbeit gleich zwei Agenturen mit 1350 Mitarbeitern. In Italien sind die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit und die Europäische Stiftung für Berufsbildung (577 Mitarbeiter) ansässig, in Dänemark die Europäische Umweltagentur (205 Mitarbeiter) und in Schweden das Europäische Zentrum für Prävention und Krankheitenkontrolle (290 Mitarbeiter).
1000 Delegierte pro Woche
Wie immer die Entscheidung ausfällt, der neue EMA-Standort kann nicht nur mit fast 1000 Arbeitsplätzen und 133 Millionen Euro zusätzlicher Wertschöpfung rechnen, sondern laut WKW auch 30.000 zusätzliche Nächtigungen pro Jahr verbuchen. Denn jede Woche kommen im Schnitt 1000 Delegierte zur EMA. Hinzu kommt, dass sich in London 2000 Pharmafirmen, Konsulenten und Dienstleister wegen der Nähe zur EMA angesiedelt haben. Auch diese will man nun vom Standort Wien überzeugen. Das Lobbying laufe auf Hochtouren, heißt es aus der Wirtschaftskammer.