Nach den dramatischen Stimmenverlusten der SPD bei den Landtagswahlen im Saarland vom Sonntag leckt die Partei ihre Wunden. Schuld sind freilich die anderen - neben der "Doppelzüngigkeit der Christdemokraten" bei der Arbeitsmarktreform machen sie vor allem den SPD-Rebellen Oskar Lafontaine und dessen Attacken auf Hartz IV für ihr miserables Abschneiden verantwortlich. Das Tal der Tränen ist indes längst noch nicht durchschritten: Bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen am übernächsten Sonntag droht den Sozialdemokraten ein neues Debakel. Am Montag waren in Potsdam und Dresden wieder massive Protestkundgebungen gegen Hartz IV angekündigt.
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Der Schock sitzt tief. Während die CDU unter Ministerpräsident Peter Müller mit 47,5 Prozent ihre absolute Mehrheit im Saarland leicht ausbauen konnte (1999: 45,5 Prozent), rutschte die SPD um knapp 14 Prozentpunkte auf 30,8 Prozent ab und fuhr somit ihr bisher zweitschlechtestes Ergebnis ein. Die rechtsextreme NPD erzielte aus dem Stand 4 Prozent. Auch wenn es für ein Mandat nicht reichte, ein Besorgnis erregendes Ergebnis. Den Sprung in den Landtag schafften hingegen FDP (5,2 Prozent) und Grüne (5,6 Prozent). Bei der Suche der SPD nach der Ursache für Wahlschlappe waren die Schuldigen schnell ausgemacht. Für den stv. Bundes-Fraktionschef Ludwig Stiegler gab die doppelzüngige Strategie des CDU-Wahlsiegers Müller, "auf Bundesebene weitere Maßnahmen bei Hartz IV zu fordern", die Reform dann aber im Wahlkampf zu kritisieren, den Ausschlag. Oskar Lafontaine, der im Wahlkampf gegen das Gesetz mobilisierte und seinen Parteikollegen Kanzler Gerhard Schröder gar zum Rücktritt aufrief, musste ebenfalls herhalten. Saarlands SPD-Spitzenkandidat Heiko Maas legte ihm noch am Wahlabend den Austritt aus der Partei nahe - für den Fall, dass er seinen innerparteilichen Oppositionskurs fortzusetzen gedenke. Dabei hatte er sich bei seinen Wahlkampfauftritten noch Seite an Seite mit dem Parteirebellen gezeigt.
In seinem Rundumschlag griff Maas am Sonntagabend auch die Politik der Bundes-SPD an - diese sei nicht gerade hilfreich gewesen. Was wiederum Schröder nicht auf sich sitzen ließ: Die Saar-SPD sei nur deshalb kläglich gescheitert, weil sie versucht habe, durch Abgrenzung von der Bundespolitik zu punkten, konterte der Kanzler.
Indes wehrte sich der frühere SPD-Chef Lafontaine gestern heftig gegen ihm zugeschriebene Mitverantwortung für das Wahldebakel in seiner Heimat. Die Vorwürfe gegen ihn seien "lächerlich", wird er in der heuter erscheinenden "Bild"-Zeitung zitiert.
CDU in Siegerpose
Die CDU feierte ihren Erfolg an der Saar indes in Siegerpose. Von dem "Ergebnis eines konsequenten Reformkurses" schwärmte CDU-Parteichefin Merkel vor Beginn der gestrigen Präsidiumssitzung. Die SPD habe die "Fähigkeit verloren zu erklären, warum es sie gibt", hackte Hessens Ministerpräsident Roland Koch auf den politischen Gegner ein.
Auch Saarlands Ministerpräsident Müller sieht in der Unfähigkeit der Bundesregierung, den Wählern den Reformkurs plausibel zu erklären, die Ursache ihres Scheiterns. Die SPD habe hier "vollkommen versagt". Mit seiner neuerlichen Forderung nach Korrekturen an Hartz IV, wie etwa der Koppelung der künftigen Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I an die geleisteten Beiträge der Arbeitnehmer, machte Müller gleich auch Wahlwerbung für seine Parteikollegen in Sachsen und Brandenburg. Dort wird am 19. September ebenfalls ein neuer Landtag gewählt, für die CDU wird es jedoch angesichts der erstarkten PDS weitaus schwieriger werden, ihre Stimmen zu halten. Schröder lehnte Änderungen an Hartz IV bereits ab.
Auch mit schweren Geschützen gegen den Saarländer Lafontaine wartete der CDU-Wahlsieger auf. Wer derart polarisiere, müsse sich nicht wundern, wenn er den Radikalen "die Hasen in die Scheune" treibe. Die NPD könne sich bei ihm bedanken.
Tatsächlich rekrutierte die mit nationalsozialistischem Gedankengut sympathisierende NPD ihre Anhänger weitestgehend aus dem Reservoir ehemaliger SPD-Wähler. 10 Prozent der Arbeiter und 14 Prozent der Arbeitslosen wählten für sie. Viele Unzufriedene gingen erst gar nicht zu den Urnen: Die Wahlbeteiligung war mit 55,5 Prozent so niedrig wie noch nie, was nach einhelliger Meinung vor allem der SPD schadete.
Ein Bild der Zerstrittenheit
Die umstrittene Arbeitsmarktreform, gegen die am Montagabend in Deutschland neuerlich zehntausende Menschen protestierten, dürfte indes kein hinreichender Grund für das schlechte Abschneiden der Sozialdemokraten gewesen sein. Nicht nur die Wahlsieger, auch Analysten sehen vor allem in der schlechten Kommunizieren der Reformen und den dauernden innerparteilichen Streitigkeiten über Hartz IV einen mindestens ebenso fatalen Grund. Dass die sich Grünen, die auf Bundesebene das Arbeitsmarkt-Reformgesetz mitzutragen haben, im Saarland trotzdem verbessern konnten und nach einer Legislaturpause wieder in den Landtag einziehen, ist ein Beleg dafür. "Warum sollte irgendjemand SPD wählen, wenn die SPD-Leute im Saarland sagen, die Partei macht alles falsch", fragte sich in aller Öffentlichkeit gestern Grünen-Parteichef Bütikofer.
Die SPD blickt jetzt gebannt auf die Landtagswahlen in den ostdeutschen Ländern Brandenburg und Sachsen, wo eine ebenso dramatische Niederlage droht. In Potsdam liegen Umfragen zufolge erstmals die Postkommunisten (PDS) vor der regierenden SPD. Doch auch die CDU wird Federn lassen: In Dresden, so die Prognosen, endet erstmals seit der Wiedervereinigung ihre Alleinherrschaft.