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"Bulgarien blockt Drogenhandel ab"

Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Staats- und Gemeindegelder verschwinden. | Kritik aus Brüssel ist "konstruktiv". | Sofia. Bojko Borissov hat ein Problem mit der Justiz. Worauf die EU-Kommission seit kurzem deutlich verweist, prangert er seit Jahren in Bulgarien an: Nicht umgesetzte Justizreformen, schleppende Gerichtsverfahren, die Verflechtung von Politik und Organisiertem Verbrechen.


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Borissov weiß, wovon er spricht. Immerhin galt er von 2001 bis 2005 als oberster Mafia-Jäger, hat er als Generalsekretär im bulgarischen Innenministerium den Kampf gegen die organisierte Kriminalität zur Aufgabe gehabt.

Im Herbst des Vorjahres, nach der Parlamentswahl, gab er den Posten auf. Seitdem regiert eine Koalition aus der Sozialistischen Partei, der "Nationalen Bewegung Simeon II" der "Bewegung für Freiheit und Rechte" das Land. "Mit den Kommunisten zusammenarbeiten?" fragt Borissov rhetorisch. Er verzichtete. Es waren doch die Kommunisten, die seinen Großvater ermordet haben, weil dieser ein Monarchist gewesen sein soll.

Dass er selber mit seiner 1991 gegründeten Sicherheitsfirma den letzten KP-Parteiführer Todor Schivkov beschützt hat, ist für Borissov kein Widerspruch. Das sei erst 1992 gewesen, als alle Schivkov verlassen hatten und ihm die gesamte Verantwortung zu Lasten legen wollten.

Nun ist der Karatekämpfer, ehemalige Polizeioffizier und Bodyguard Oberbürgermeister von Sofia. Das Gebäude, wo Borissov derzeit residiert, ist zwar nicht so imposant wie sein früherer Arbeitsplatz, ein riesiger Betonklotz aus den 60er-Jahren. Doch in seinem Büro ist neben einem Schreib- und einem Konferenztisch für ein Dutzend Gäste auch Platz für eine Ledergarnitur. In Bulgarien gilt der bullige 46-Jährige als Medienstar. Wenn etwas passiert, ist er sofort zur Stelle - um Fragen zu beantworten oder die Tatenlosigkeit der Regierung anzuprangern.

Was schwieriger ist, die Mafia zu bekämpfen oder die Hauptstadt zu verwalten? "Es ist das Gleiche", antwortet Borissov der "Wiener Zeitung". "Korruption, organisierte Kriminalität - in beiden Fällen das Gleiche." Dabei sei nicht Drogen- oder Menschenhandel das größte Problem, sondern das Verschwinden von Staats- und Gemeindegeld. Und wenn die Justiz nicht umstrukturiert werde, dann bleibe das ohne Konsequenzen. So habe die Regierung für überschwemmte Gebiete 250 Millionen Leva (rund 125 Millionen Euro) zur Verfügung gestellt. Sofia, das stark betroffen war, habe nicht einmal eine Million Leva bekommen. Der Rest des Geldes sei so verteilt worden, dass es nicht einmal für notwendige Schutzmaßnahmen gereicht hat. Und wenn die Justiz nicht umstrukturiert werde, dann bleiben solche Vorgänge ohne Konsequenzen.

Keine Schuldigen

Korruption gebe es zwar auch überall in der EU, betont Borissov. Aber wenn dann ein Beamter ertappt wird, dann verliert er seine Stelle und wandert ins Gefängnis. In Bulgarien gebe es so etwas nicht: "Es gibt eine gerichtliche Verhandlung, es wird über die Aufhebung der Immunität debattiert, aber es gibt dann keinen, der schuldig gesprochen wird." Wie schwierig es ist, die Strukturen aufzubrechen, erklärt Borissov an einem Beispiel: Er habe vorgeschlagen, die Vorstände von Gemeindefirmen über eine Ausschreibung zu ermitteln. Doch das Quotenprinzip hat gesiegt: Die Vorstände werden entsprechend der Parteienaufteilung im Gemeinderat besetzt.

Dass Korrumpierbarkeit durch niedrige Gehälter gefördert werde, ist Borissov klar. Die Frage, was er aber mit einem jährlichen Budget von 250 Millionen Euro für die Stadt inklusive Gehälter für Ärzte und Lehrer dagegen tun könne, stellt und beantwortet er sich selbst: "Nichts." Wäre er kein vorlauter Bürgermeister, würde er vielleicht sogar mehr Geld vom Staat bekommen. "Wenn du sagt: Es gibt keine Korruption, es ist alles ok., dann gibt es mehr Geld."

Doch Freundlichkeiten mit der Regierung austauschen liegt Bojko Borissov nicht. Daher muss er auf die finanzielle Hilfe von ausländischen Unternehmen zurückgreifen. Mit ihrer Unterstützung werden zum Beispiel 46 Kirchen beleuchtet. "Aber mit Sponsoren können wir keinen Asphalt kaufen." Und ein Verkehrskonzept für die Hauptstadt - mit ihren Straßen voller Schlaglöcher und vollgeparkten Gehsteigen - gehört zu den größten Herausforderungen für Sofia.

"Die EU braucht uns"

Kritik an den Zuständen in seinem Land - auch von der EU - sieht der Bürgermeister als durchaus konstruktiv an. Dadurch solle der Wille der bulgarischen Regierung zu Reformen gestärkt werden. Eine Verschiebung des Beitritts von 2007 auf 2008 würde dies zunichte machen. Einen späteren Beginn der Mitgliedschaft sollte die Union laut Borissov auch aus einem anderen Grund nicht erwägen: "Die EU braucht Bulgarien als eine Außengrenze." Würden die Geldwäscher und Drogenhändler aus anderen Staaten nicht in Bulgarien aufgehalten, würden sie bis Österreich vordringen. "Wir sind nützlicher für die EU als die EU für uns", sagt Borissov. Die Interviewzeit geht zu Ende, der nächste Termin ist da. Beim Hinausgehen zeigt Borissov noch lachend ein Fax des Istanbuler Polizeichefs her: Der wendet sich lieber an den Bürgermeister als an das Innenministerium. Vor dem Rathaus steht Borissovs riesiger schwarz glänzender Land Cruiser. Im Dienst wird er von zwei weiteren Wagen begleitet. Der Ex-Leibwächter braucht selber Schutz.