Zum Hauptinhalt springen

Bulgarien erfasst die meisten Asylwerber

Von Patrick Krammer

Politik

Daten zeigen, dass viele Anträge in Österreich von Personen gestellt wurden, die bereits woanders registriert waren.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Österreichs Veto zum Schengen-Beitritt Bulgariens und Rumäniens sorgte Anfang Dezember des Vorjahres für viel Aufregung. Rumänien lud den österreichischen Botschafter vor, drohte mit Konsequenzen für die bilateralen Beziehungen und berief seinen eigenen Botschafter aus Österreich ab. Die deutsche Außenministerin sprach von einer "schweren Enttäuschung". Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) rechtfertigte die Entscheidung mit 75.000 Aufgriffen von Asylwerbern, die in keinem anderen EU-Land zuvor registriert worden waren. Dies sei eine "Sicherheitsfrage, die wir nicht wegwischen können", meinte der Kanzler im Vorfeld des Votums.

Was auf das österreichische Nein in Brüssel folgte, waren bilaterale Gespräche, eine Einladung des bulgarischen Präsidenten zum Neujahrskonzert und ein Besuch an der bulgarisch-türkischen Grenze. Kanzler und Innenminister flogen dort extra den bulgarischen Grenzzaun ab. Bundespolizeidirektor Michael Takacs reiste während der ganzen Aufregung in die USA, um sich einen anderen Zaun, den zur mexikanischen Grenze, zeigen zu lassen. Das dort angeeignete Zaunwissen sollte dann "auch mit anderen EU-Ländern wie Bulgarien" geteilt werden, sagte Nehammer im März in einem Interview mit der deutschen "Bild".

Viele Asylwerber waren unregistriert

Seit damals interessiert sich die Opposition für die Datenquelle, mit der die ÖVP-Regierungsriege ihr Veto rechtfertigte. Nehammer und Karner bezogen sich immer wieder auf Erhebungen, die zeigen würden, dass die meisten Asylwerber über Rumänien und Bulgarien kommen würden. In mehreren parlamentarischen Anfragen wollte Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper wissen, auf welche Daten sich das Innenministerium bezieht.

Dieses veröffentlichte nun Zahlen aus der Eurodac-Datenbank, mit der Asylwerber erfasst werden, wenn sie aufgegriffen werden oder einen Asylantrag stellen. So soll verhindert werden, dass eine Person in unterschiedlichen Ländern mehrere Anträge stellt. Insgesamt 32 Staaten sind mit dabei. Neben den EU-Staaten sind das Großbritannien, Island, Norwegen, Liechtenstein und die Schweiz.

Die Daten für das Vorjahr zeigen, dass Bulgarien mit 9.605 Einträgen tatsächlich die meisten Asylwerber registriert hat, die später in Österreich ankamen und einen Asylantrag stellten. Dahinter liegen Griechenland mit 7.896 erfassten Personen und Rumänien und Deutschland, die beide rund 1.500 Menschen ins System eingetragen haben.

Die Frage ist nun, wie diese Zahlen gedeutet werden können. Das Innenministerium führt es auf Anfrage der "Wiener Zeitung" als Beweis für "die Bedeutung der Route über Bulgarien und weiter entlang des Westbalkans" an.

Von den 112.272 Asylanträgen, die in Österreich 2022 gestellt wurden, waren aber nur 24.717 Personen in Eurodac bereits erfasst. 78 Prozent wurden also erstmals in Österreich aufgegriffen. Für Karner ein Zeichen, dass das System nicht funktioniert. Das Gegenargument wäre, dass Bulgarien im Vergleich zu anderen Ländern seine Aufgaben sehr wohl erfüllt und Migrationsbewegungen seltener unentdeckt über Bulgarien geschehen. Zum Vergleich: Ungarn hat nur 273 Personen erfasst. In der Anfragebeantwortung argumentiert Karner auch, dass rund 90 Prozent "an der Ostgrenze Österreichs zu Ungarn erfasst" worden seien. Er stellt das in Verbindung mit der Bulgarienroute. Ob dieser Rückschluss wirklich möglich ist, ist schwer abschätzbar. Das Innenministerium sagt, 78 Prozent aller Afghanen seien über Bulgarien eingereist.

Geheimnisvolle Datensätze

Die Bewertung der Daten ist auch deshalb so schwierig, weil das Innenministerium sich weigert, Rohdaten herauszugeben. Und das mit einer interessanten Begründung: Es handle sich um "unbereinigtes Datenmaterial, dessen Analyse ein hohes Maß an Fachwissen erfordert". Dieses Fachwissen traut das Ministerium anscheinend weder Nationalratsabgeordneten, der österreichischen Bevölkerung noch in dem Bereich tätigen Forscherinnen und Forschern zu. Auch auf Anfrage der "Wiener Zeitung", weshalb man die Rohdaten zurückhalte, antwortete das Innenministerium mit derselben Rechtfertigung.

Bei der Erhebung der Fluchtrouten bezog sich das Innenministerium lange Zeit auf Befragungen von Asylwerbern und Auswertungen ihrer Mobiltelefone. Die 78 Prozent Afghanen, die über Bulgarien eingereist sein sollen, gehen auf Befragungen des Innenministeriums zurück. Wie viele befragt wurden, ist aber unklar. Die Politikwissenschafterin Daniela Pisoiu schrieb in einem Gastkommentar für den "Standard" schon im Dezember, dass so keine systematische Erhebung von Migrationsrouten möglich sei. Ein Faktencheck der APA ergab Mitte Dezember, dass die damals vorgelegten Daten kaum aussagefähig waren. Auch Neos-Abgeordnete Krisper kritisiert das Innenministerium für den Umgang mit den Daten: "Österreich ist hinsichtlich der Daten zu Flucht- und Migrationsbewegungen extrem intransparent - wodurch es umso unglaubwürdiger wird, dass das Schengen-Veto mit irgendeiner Evidenz belegt ist und aus sachlichen Gründen eingelegt wurde."