Erst 18 Jahre nach der Wende beginnt die Aufarbeitung der Vergangenheit. | Sofia. (dpa) Das neue EU-Mitglied Bulgarien, einst treuester Verbündeter der Sowjetunion, öffnet mit großer Verspätung die Akten seiner früheren kommunistischen Staatssicherheit. Eine dafür geschaffene Kommission hat ein halbes Jahr nach ihrer Gründung noch immer keine Bleibe und damit keinen Platz für das Archiv oder einen Leseraum gefunden. Ihre Mitglieder arbeiten provisorisch im Büro eines Parlamentariers in der Zentrale der früheren kommunistischen Staatspartei.
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Da die Arbeit sehr langsam vorangeht, brodelt die Gerüchteküche. So beschuldigte eine kleine Partei den 1946 von den Kommunisten vertriebenen Ex-König Simeon II., während seines Exils "mit dem bulgarischen Geheimdienst und auch mit dem sowjetischen KGB zusammengearbeitet" zu haben. Die auflagenstärkste Zeitung "Trud" druckte sogar zwei von der Partei RSS als "Beweise" angeführte Bilder. "Mein Gewissen ist rein", wies Simeon, der von 2001 bis 2005 Regierungschef war, die Vorwürfe zurück. Doch der Skandal brodelt weiter.
Die Stasi-Kommission hat auch das bestätigt, was eigentlich alle wussten: "Staatspräsident Georgi Parwanow war ein Stasi-Mitarbeiter". Der frühere Sozialisten-Chef hatte dies bereits vor seiner Wiederwahl 2006 indirekt eingestanden. Er habe als Historiker ein von den Geheimdiensten bestelltes Buch redigiert, "ohne den eigentlichen Auftraggeber gekannt" zu haben. Seitdem rechtfertigt Parwanow die Tätigkeit der Mehrzahl der Stasi-Agenten damit, dass sie "für die nationale Sache" gearbeitet hätten.
Keine Konsequenzen
Was die Agenten der bulgarischen Geheimdienste, denen international sogar eine bisher unbewiesene Verstrickung in das Attentat auf Papst Johannes Paul II. nachgesagt wurde, wirklich getan haben, wissen die meisten Bulgaren noch immer nicht. "Welcher normale Mensch außerhalb der so genannten politischen Elite beschäftigt sich mit dem Thema?", fragte der sozialistische Regierungschef Sergej Stanischew unmittelbar nach der jüngsten Enthüllung der Akten-Kommission. Diese hatte festgestellt, dass 139 Stasi-Mitarbeiter nach der Wende Abgeordnete gewesen waren. Unter ihnen war ein führender orthodoxer Geistlicher. Heute sitzen dort 19 Ex-Stasi-Mitarbeiter, einer wurde ins EU-Parlament entsandt.
Da das Stasi-Gesetz keine Folgen für die Ex-Agenten und Mitarbeiter vorsieht, gab es keine Entlassungen. "Ich habe noch keinen geheimen Mitarbeiter gesehen, der bereut hat", zieht Kommissionsmitglied Ekaterina Bontschewa fast 18 Jahre nach der Wende Bilanz.