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Bulgarien zwischen Skepsis und Angst vor Demütigung

Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Kein Referendum zum EU-Beitritt. | Kein Verständnis für Verschiebung. | Sofia. Die elektronische Uhr auf dem Gebäude einer Bank tickt. Sie ist gleich gegenüber der Nationalgalerie in Sofia, an der mit gelbem Kopfsteinpflaster ausgelegten Straße Tsar Osvobitel mitten im Zentrum angebracht. Noch 233. So viele Tage sind es bis zum Beitritt Bulgariens in die Europäische Union. Auf die Möglichkeit eines Aufschubs wird hier keine Rücksicht genommen. Die Uhr zählt die Tage bis zum 1. Jänner 2007.


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Doch die Begeisterung der Bevölkerung hält sich in Grenzen. Ein Referendum über den EU-Beitritt wird in Bulgarien nicht abgehalten. Zu groß sei die Angst der Politiker, dass mehr Menschen die Mitgliedschaft ablehnen als befürworten würden, meint Tanja. Die junge Fernsehjournalistin glaubt der Regierung kaum. Der zufolge würden 70 Prozent der Bulgaren für einen EU-Beitritt sein. Tanja selbst ist skeptisch. Zwar hofft auch sie, dass die EU mehr Druck auf Bulgarien ausüben wird, notwendige Reformen durchzuführen. Doch gleichzeitig gibt sie zu bedenken, was viele Bulgaren befürchten: "Nach einem EU-Beitritt wird alles teurer. Aber unsere Gehälter werden nicht steigen. Wie soll sich dann unser Lebensstandard heben, wie sollen wir in Europa mit den anderen mithalten?"

Dennoch erhoffen die meisten Bulgaren eine Verbesserung ihres Lebens, das viele mit einem Durchschnittslohn von 300 Euro bestreiten müssen. Eine Verschiebung des Beitritts würden sie kaum verstehen. Es wäre eine Demütigung, erklärt Ministerpräsident Sergej Stanischew.

Dass Brüssel gute Gründe hat, Druck auf Sofia zu machen, sagt er seltener. Bei der Umsetzung von Justizreformen ist Bulgarien laut EU-Kommission bereits hinter Rumänien zurückgefallen, der Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption muss intensiviert werden.

Nicht nur Korruption

Warum es gerade die Korruption ist, die die EU in den Mittelpunkt ihrer Kritik stellt, versteht Bojko Todorov wenig. Er arbeitet im nichtstaatlichen Center for the Study of Democracy (CSD), das seit fast zehn Jahren die Korruption in Bulgarien untersucht. Es gebe genug andere Probleme im Land, auf die Brüssel das Augenmerk legen könnte, meint er. "Korruption hingegen ist nicht exportierbar, sie existiert nur innerhalb eines bestimmten Systems", erklärt Todorov. Wenn also Politiker in Bulgarien korrupt seien, so sei das ein Schaden für das Land - und nicht für die EU. Laut CSD nehme die Korruption ab. Sie betrug im Vorjahr die Hälfte von 1998, wobei Menschen anonym befragt werden, ob sie in einem bestimmten Zeitraum Schmiergeld gegeben haben. Zwar unternehme die Regierung zu wenig gegen die Verflechtung von Politik und Wirtschaft, räumt Todorov ein. Doch vermisst er gleichzeitig klare Anweisungen aus Brüssel. "Während es in anderen Bereichen - etwa in der Landwirtschaft - klare Direktiven und detaillierte Regeln gibt, ist die EU in diesem Fall nicht deutlich genug."

In einem ihrer ersten Berichte, vor sechs Jahren, hat die Kommission das Problem nicht einmal deutlich angesprochen. Von "Gerüchten über Korruption" war die Rede. Von einer Verschiebung des EU-Beitritts hält Todorov wenig. Die EU täte besser daran, Bulgarien und Rumänien zu integrieren als die Länder draußen zu halten. Der Preis für die Erweiterung mag kurzfristig ein hoher sein. Doch der Gewinn sei ein langfristiger.