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Bulgariens nächste ungeliebte Regierung

Von WZ-Korrespondent Frank Stier

Politik

Nach einem Postenschacher gehen | Zehntausende wieder auf die Straße.


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Sofia. Für viele kam es überraschend, dass die nationale Protestbewegung, die im Februar 2013 das rechtsgerichtete Kabinett von Boiko Borissow aus dem Amt zwang, bei der bulgarischen Parlamentswahl im Mai keinen Sitz erringen konnte. Die zehntausenden Demonstranten hatten sich zunächst gegen hohe Energiekosten ausgesprochen, mit Fortdauer der Proteste forderte sie schließlich auch eine radikale Reform des politischen Systems durch verstärkte Bürgerkontrolle und die Einführung von Elementen eines Mehrheitswahlrechts.

Immerhin hatte sich die Ende Mai 2013 an die Macht gelangte sozial-liberale Koalitionsregierung zum Zeichen ihrer Wertschätzung der Bürgerproteste nicht als gewöhnliches Parteienbündnis aus Sozialisten (BSP) und der Partei der bulgarischen Türken (DPS) präsentiert, sondern als sogenannte Programmkoalition. Minister werden als Experten ausgewählt, nicht wegen ihrer Parteizugehörigkeit, versprach Ministerpräsident Plamen Orescharski.

Mit einer einzigen Personalentscheidung hat das Kabinett Orescharski am vergangenen Freitag schlagartig jedoch allen Vertrauensvorschuss verspielt und sieht sich nun mit noch größerem Volkszorn konfrontiert als die Regierung Borissow. Zigtausende forderten am Wochenende in Sofia und vielen bulgarischen Städten Orescharskis Rücktritt und skandierten "Mafia!, Mafia!"

Die Proteste entzündeten sich vor allem daran, dass der Regierungschef ausgerechnet Deljan Peevski zum neuen Chef der Staatlichen Agentur für Nationale Sicherheit (DANS) bestimmt hat. Der 33-jährige DPS-Abgeordnete ist einer der verhasstesten Politiker Bulgariens und wurde in der Vergangenheit oft spöttisch "das Wunderkind" der bulgarischen Politik genannt. Ohne jegliche Ausbildung wurde Peevski im Alter von 20 Jahren Staatssekretär im Transportministerium, fünf Jahre später, noch vor Abschluss seines Jura-Studiums, stellvertretender Minister für Katastrophenfragen.

Befreundete Medien

Nicht weniger erstaunlich als seine politische Karriere verlief der Aufstieg seiner Mutter Irena Krasteva zur führenden Medienunternehmerin Bulgariens. Ab 2007 erwarb die frühere Direktorin der staatlichen Totogesellschaft Krasteva in schneller Folge Tageszeitungen, Wochenblätter und Druckereien, heute gilt ihre Nova Mediina Grupa Bulgaria Holding als Bulgariens größter Medienkonzern. Von Anfang an lag der Verdacht nahe, die einstige Staatsbeamtin könne gar nicht über das Kapital zum Aufbau eines Medienkonglomerats verfügen, agiere vermutlich als Strohfrau für Hintermänner. Der Banker Tsvetan Vassilev von der Korporativen Handelsbank (KTB) ist inzwischen als starker Mann hinter dem von Krasteva gemeinsam mit ihrem Sohn Peevski geführten Medienimperium identifiziert.

Alle vom Tandem Krasteva/Peevski mit Krediten der KTB übernommenen Medien pflegen weniger journalistische Standards als unverblümte Parteinahme. Attackierten sie bis 2009 den Herausforderer Borissow scharf, so schwenkten sie nach dessen Wahlsieg um, boten ihm während seiner Regierungszeit bedingungslosen "Medienkomfort". Nachdem Borissow Mitte Februar zurückgetreten ist, haben sie ihren Kurs wieder geändert und führen massive Diskreditierungskampagnen gegen ihn und Ex-Innenminister Tsvetan Tsvetanov.

Zwar hat Peevski mittlerweile erklärte auf seinen Posten verzichten zu wollen, doch für Regierungschef Orescharski dürfte die Sache damit noch nicht ausgestanden sein. Denn für viele Bulgaren war die Affäre rund um Peevski nur einer von vielen Fällen, der zeigt, wie die politische Landschaft Bulgariens nach wie vor funktioniert.