Jeder fünfte Schüler vergisst den Lernstoff gleich nach der Prüfung. Wir brauchen eine neue Prüfungskultur, sagen Bildungsexperten.
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Wien. Hineinfressen, erbrechen, hineinfressen. Ungefähr so kann man sich das Lernen an den Schulen vorstellen - zumindest, wenn man sich auf eine Umfrage des Nachhilfeinstituts Lernquadrat unter mehr als 500 Schülern zwischen 11 und 19 Jahren bezieht. Diese ergab, dass durchschnittlich jeder Fünfte den gesamten Lernstoff unmittelbar nach der Prüfung vergisst. Unter den Mädchen und den Oberstufen-Schülern gaben tendenziell mehr an, so viel lernen zu müssen, dass sie sich langfristig nichts merken könnten. Bulimie-Lernen also. Lernen für die Prüfung -und nicht "für’s Leben", wie es von Eltern und Lehrern eigentlich immer heißt?
Nicht ganz, sagt dazu Konrad Zimmermann, Gründer und Geschäftsführer von Lernquadrat. Denn zehn Prozent alles in der Schule Erlernten brauche man tatsächlich auch später noch, also in seiner Zukunft nach der Schule. Das Problem sei nur, dass man für gewöhnlich nicht weiß, welche 90 Prozent man vergessen darf.
"Der gute Schüler unterscheidet sich vom schlechten dadurch, dass er das Richtige vergisst", sagt dazu Bildungsexperte Stefan Hopmann im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Wobei er die Definition von gut nicht auf Zeugnisnoten, sondern darauf bezieht, wer etwas von dem Erlernten in sein Leben nach der Schule mitnimmt. Dass das nie alles sein kann, ist laut Hopmann klar - und auch gut so. "Sonst wäre der Kopf vollgestopft mit Dingen."
Zweck der Schule sollte seiner Ansicht nach sein, Selbst- und Lernkompetenz zu erlernen: also lernen zu lernen und sich selbst zu vertrauen. Und zwar gemeinsam mit den anderen Schülern, in einem sozialen Umfeld - eine Situation, die zum Beispiel bei Nachhilfestunden nicht gegeben sei, sagt Hopmann. Mit diesen führe man lediglich "Notfallreparaturen" durch. Bedingt durch die aktuelle Prüfungskultur, die auf einzelne Leistungen fixiert sei.
"Punktuelles Abprüfen steht im Vordergrund"
Auch Bildungsexpertin Christa Koenne führt die Tatsache, dass so viele Schüler angeben, das Erlernte quasi mit Abgabe der Schularbeit oder des Tests mit abzugeben, auf eine festgefahrene Prüfungskultur zurück. Das punktuelle Abprüfen stehe im Vordergrund, der Staat trage eine Mitschuld: Denn Lehrer dürfen nur das in den vergangenen sechs bis acht Wochen Erlernte abprüfen. Der Lernvorgang passiere dadurch nicht problemadäquat. Also nicht so, dass der Schüler bei seiner weiteren Ausbildung oder im Berufsleben an das Erlernte anknüpfen kann, sagt Koenne.
Die Menge des Lernstoffs sei oft illusorisch groß. "Lehrpläne sind Wunschprosa", sagt Koenne. Zum Fach Biologie etwa sei im Laufe der Jahre Umweltkunde dazugekommen, zu Geografie Wirtschaftskunde. "Das sind ganze Studien, das überfordert das Schulsystem."
Den Weg aufzeigen, wie man zu Bildung kommt
Außerdem züchte man sich "Fachegoisten" heran: Lehrer, die den Schülern Mathematik, Geschichte oder Biologie beibringen -aber nicht den Weg, wie man zu Bildung kommt, so Koenne.
Die ehemalige AHS-Direktorin schlägt vor, dass Schüler selbst sagen, was sie für wichtig halten, und deren Vorschläge in die Prüfung einfließen. Auch das selbständige Erarbeiten von Portfolios helfe dabei, sich den Lernstoff besser einzuprägen. Denn grundsätzlich gehe es "natürlich nicht darum, nur für die Schule zu lernen", sagt Koenne. "Das wäre ja absurd."