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Es hängt mit den Sesseln zusammen, die im renovierten Bundesrats-Sitzungssaal einen Hauch von Großraum-Büro verbreiten. Klassisch schwarz und für jedes Rückgrat verstellbar. Die Länderkammer wurde
über den Sommer umgebaut und am 18. November gestaltete sich die erste Sitzung nach den Nationalratswahlen zu einer Art föderalistischen House-Warming-Party.
Prominente Gäste im neuen Dekor des Bundesrates: Vorarlbergs Landeshauptmann Herbert Sausgruber, derzeit auch Vorsitzender der Landeshauptmänner-Konferenz und die Bundesministerin Elisabeth Gehrer.
Überhaupt befindet sich der österreichische Föderalismus am Ende des Jahrhunderts fest in alemannischer Hand. Bis Anfang 2000 amtiert der ehemalige Föderalismus-Minister Jürgen Weiss als Präsident
des Bundesrates.
Die Ländererklärung
Es war erneut eine Sitzung, in der die Sinnsuche der Länderkammer die Tagesordnung beherrschte. Erstmals in der parlamentarischen Öffentlichkeit wurden die Bundesräte über die Erklärung der
Landeshauptmänner vom 29. Oktober an die künftige Bundesregierung. Diese Ländererklärung trägt den Titel "Österreich als Bundesstaat in Europa". Sie skizziert die Gefahr einer wachsenden
Zentralisierung der Europäischen Union. Als Heilmittel gegen die befürchtete Entfremdung der Bürger von ihren Institutionen werden in dieser Erklärung die "Stärkung der Mitwirkung der Länder und
Gemeinden" empfohlen.
Überdies erwarten sich die Landeshauptleute in ihrer Erklärung eine steigende Akzeptanz der EU, wenn man den Einfluss der Bürger auf die Politik verbessere und so Macht-Konzentrationen verhindere.
Das Perchtoldsdorfer Syndrom
Jede Föderalismus-Debatte beginnt in jüngster Zeit mit dem sogenannten Perchtoldsdorfer-Paktum. 1992 signierten in diesem niederösterreichischen Ort nahe bei Wien die Bundesregierung und die
Landeshauptmänner eine "Politische Vereinbarung über die Neuordnung des Bundesstaates". Die Redebeiträge im Bundesrat zur Bundesstaatsreform lesen sich wie eine rhetorische Sammelklage der
Ländervertreter gegen den Bund. Ihm wird mangelnde Vertragstreue vorgeworfen und durch den Beitritt zur EU seien die Länder noch mehr benachteiligt worden.
Die Länder wollen mehr Rechte, wobei die Kostenwahrheit innerhalb einer neuen Kompetenz-Struktur zwischen EU und Bund und Ländern und Gemeinden zu kurz kommt. Ein Beispiel: Gefordert werden
Landesverwaltungsgerichte, um die Kontrolle des Vollzugs zu entlasten. Nur: Zahlen sollen die andern.
Immerhin: Die Kostenkontrolle für neue Gesetze, so heißt es in der Erklärung der Landeshauptmänner (im Kreise derer sich mit Waltraud Klasnic erstmals eine Frau befindet), habe sich in positiven
Ansätzen durchgesetzt.
Wieder einmal wurde im Bundesrat die mangelnde Vertragstreue des Bundes kritisiert. Als Ärgernis wurde von seiten des Landeshauptmannes die Praxis angeprangert, angeblich gute Ideen der Bundespolitik
verfassungsrechtlich so zu verankern, dass eine Korrektur der Zwangsbeglückung der Länder und Gemeinden kaum rückgängig zu machen sei.
Nun, im neuen Nationalrat wird dies nicht mehr möglich sein, weil es für solchen Umgang mit Gesetzesvorhaben keine Zwei-Drittel-Mehrheit mehr geben wird. Die Landeshauptmänner-Erklärung formuliert in
fast allen Aspekten das Verlangen der Bundesländer, in die Neuordnung des Bundesstaates Bewegung zu bringen, denn versprochen wurde dies vor dem EU-Beitritt Österreichs.
Verdeckte Bundesrats-Konkurrenz
Wenngleich der Eindruck vorherrscht, dass die Landeshauptleute und der Bundesrat in Föderalismusfragen an einem Strang ziehen, kann man nicht uneingeschränkt eine Harmonie im Zusammenwirken
bestätigen. Seit langem verfolgen die Bundesräte die Absichten der Landeshauptleute, sich eine verfassungsrechtliche Legitimation als Ländervertreter zu schaffen. Mit Misstrauen werden die Versuche
beobachtet, wie sich die Landeshauptmänner-Konferenz in der Bundesverfassung einen Platz sichern will.
Der Wiener Bundesrat Josef Rauchenberger (SPÖ) hielt seine Abschiedsrede im Bundesrat · er wechselt in den Wiener Landtag · sofort zu dieser zwiespältigen Haltung der Landeshauptleute. Rauchenberger
sagte mit einem Hauch inszenierter Dramatik, er finde es betrüblich, dass sich die Landeshauptmänner-Konferenz in der Verfassung etablieren wolle und damit die Bedeutung des Bundesrates untergrabe.
Der Wiener Mandatar machte sich auch dafür stark, den Bundesrat mit der Kontrolle der Vollziehung von Gesetzen zu betrauen.
Der Fraktionschef der Volkspartei im Bundesrat, der Salzburger Ludwig Bieringer, fokussierte seinen Redeauftritt auf die Einführung der Briefwahl auf Gemeindeebene. In einer neuen Rolle: der Wiener
Freiheitliche Peter Böhm. Er ist der Nachfolger des Vorarlbergers Reinhart Bösch in der Funktion des Fraktionschefs. Der Rechtswissenschaftler machte sich im Schwerpunkt seiner Rede für eine
Direktwahl der Bundesräte stark. Peter Böhm verstärkte indes auch die Kritik des Sozialdemokraten Josef Rauchenberger an der Tendenz der Landeshauptmännerkonferenz, nur an ihrer eigenen
verfassungspolitischen Aufwertung zu arbeiten. Dies würde die "Exekutivlastigkeit" des österreichischen politischen Systems begünstigen.
Der Bundesrat als "koalitionsfreier Raum"
Der freiheitliche Fraktionschef appellierte erwartungsgemäß an die noch amtierenden Regierungsparteien, sie mögen sich aus ihrer "notorischen Selbstfesselung" lösen. Peter Böhm berief sich dabei
auf eine Initiative der Landtagspräsidenten, die am 18. Oktober beschlossen, man möge den Bundesrat aus jedem künftigen Regierungspakt heraushalten. Der Bundesrat als künftiger koalitionsfreier Raum.
Aussagen in diese Richtung wurden jüngst bei einem Seminar des Institutes für Föderalismusforschung registriert und als ein Befürworter wurde auch der Föderalismus-Experte und Bundesratspräsident
Jürgen Weiss zitiert.
Im Klartext heißt dies: Wie sich die künftige Regierung auch immer zusammensetzt, die Fraktionen der Länderkammer wären an keinen Klubzwang gebunden und könnten ihre legislative Kontroll-Funktion im
"koalitionsfreien Raum" ausüben.
Ein Hauch von Satire
Schlussfolgerung aus der ersten Bundesratssitzung nach den Nationalratswahlen: Die Ländervertreter befinden sich noch immer auf der Suche nach der Bundesstaatsreform und sie sind · stärker denn je
· in Debatten verstrickt, die um die politische Existenzberechtigung des Bundesrates kreisen.
Eine launige, fast kabarettistische Version lautet: Die Aufgabe des Bundesrates bestehe darin, sich aufzuwerten.
Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Bundesratsfraktion, der Wiener Albrecht Konecny, setzte sich · als Amateur-Satiriker · dafür ein, jenen Mandataren das Wort zu entziehen, die sich künftig für
die Aufwertung des Bundesrates stark machen. Vor Konecny übte sich der ÖVP-Fraktionschef gleichfalls in Selbstbestätigungsritualen. Mit der Botschaft: Wenn der Bundesrat so agieren würde, wie er
könnte, na ja, dann würden sich alle Kritiker wundern. In der politischen Psychoanalyse würde man derlei Rhetorik als institutionellen Masochismus einstufen, sagen Bundesratsexperten.Õ
Berndt Ender ist Mitarbeiter der ORF-Parlamentsredaktion